WarLogs, Big Data und die Folgen für den Journalismus

Warlogs Guardian IDE Timeline
Guardian - Warlogs: Ausschnitt aus interaktiver Zeitleiste

Schnell hieß es am Montag in Folge der Veröffentlichung der Afghanistan-Protokolle: Heute hat sich der Journalismus für immer verändert.

„Dies ist nicht nur bedeutend für die Berichterstattung und die Wahrnehmung des Kriegs an sich. Es ist auch eine Machtdemonstration von Wikileaks und ein Blick in den Journalismus der Zukunft. Denn man kann auch sagen: Wikileaks hat drei der bedeutendsten Print-Medien die Pistole auf die Brust gesetzt – und die haben sich nicht lang gewehrt. Letztlich hat die so oft angezweifelte Plattform die Kooperationspartner gezwungen, sich einer neuen Berichterstattungswelt zu öffnen.

So schrieb Thomas Knüwer und goss Häme über Spiegel-Online aus; die Website habe gegenüber der New York Times und vor allem dem Guardian in der Präsentation der Afghanistan Protokolle oder Warlogs sehr schlecht ausgesehen. (Eine Einschätzung, die der Chefredakteur von SPON gegenüber Meedia letztlich teilte).

Tatsächlich scheinen sich die drei Zeitungen einer Situation á la „friss oder stirb“ ausgesetzt gesehen zu haben. Allerdings geht laut dem Artikel The Story Behind the Publication of WikiLeaks’s Afghanistan Logs (Columbia Journalism Review) der ganze Vorgang auf das Engagment eines Guardian-Redakteurs zurück.

Standesdünkel der „4. Gewalt“

Jedenfalls tat sich zumindest einer der zuständigen Redakteure der NYT schwer damit, sich als Handlanger von Wikileaks zu verstehen – und zeigte sich wenig amüsiert darüber, dass Wikileaks den Großteil des Datensatzes für jeden Internetuser zugänglich machte:

„Assange released the information to three mainstream news organizations because we had the wherewithal to mine the data for news and analysis, and because we have a large audience that would take this seriously. I think the public interest was served by that. His decision to release the data to everyone, however, had potential consequences that I think anyone, regardless of how he views the war, would find regrettable.“ So der NYT-Journalist Bill Keller in einer Mail gegenüber The Daily Beast.

Damit wäre das Fass „Qualitätsjournalismus vs. Internet“ geöffnet (und das von Verrat und „National Security“ – was anders zu diskutieren wäre). Die Wikileaks-Warlogs haben einen offenliegenden Nerv getroffen: Der bislang einmalige Vorgang, dass eine halb-klandistine nicht-staatliche Organisation im großen Stil auf internationaler Ebene das Nachrichtengeschehen massiv bestimmt, dürfte eine Zäsur für den Journalismus darstellen. Und verdeutlicht auch den Wandel der Journalistenrolle.

Gegen den sich zumindest Bill Keller verbal auflehnt und dabei den Standesdünkel demonstriert, der in klassischen Redaktionen offenbar noch vorherrscht. Kraft seines ihm nicht durch einen demokratisch Prozess verliehen „Amtes“ Journalist denkt er, entscheiden zu können, wann dem öffentlichen Interesse Genüge getan sei. Doch sind diese Zeit mit der hierachieflachen Technologie des Internets vorbei – die Bedeutung der so genannten 4. Gewalt im Staate schwindet.

Keller hat einen Job, kein Amt; und diesen Arbeitsplatz hat er aufgrund von marktwirtschafltichen Kritierien des Wirtschaftsunternehmens New York Times. So mag der Redakteur damit hadern,  dass ihm die Deutungshoheit abhanden kommt. Aber einen exklusiven Anspruch auf den alleinigen Zugriff auf Informationen kann er nicht beanspruchen.

Die Bedeutung für den Journalismus

Das Potential des Datenjournalismus hat der Guardian unter großer internationaler Aufmerksamkeit demonstrieren können: Er bot das der Informationsmenge angemessenste Angebot.  Die britische Zeitung übt dafür aber seit nunmehr über einem Jahr in seinem Datablog den Umgang mit Datensätzen aus journalistischer Perspektive – und war somit am besten auf ein großen Datensatz vorbereitet: Wikileaks‘ Afghanistan war logs: how our datajournalism operation worked (Mehr zur Vorgehensweise des Guardian auch unter: Visualizing Data, Telling a Story von Columbia Journalism Review).

Die Bedeutung für den Journalismus in der Veröffentlichung der Afghanistan-Datensätze liegt also darin, dass es sich zeigt, dass Datenjournalismus und große Datensätze (Big Data) eine neues Format darstellen: Es geht nicht primär um den Skandal, den einzelnen „Scoop“, sondern den Hintergrund eines komplexen Geschehens wie dem Afghanistankrieg zu erhellen.

Das Nieman Journalism Lab schrieb dazu im Beitrag: Data, diffusion, impact: Five big questions the Wikileaks story raises about the future of journalism:

Part of what we’ve been trained, as a society, to expect out of the Big Deal Journalistic Story is something “new,” something we didn’t know before. Nixon was a crook! Osama Bin Laden was found by the CIA and then allowed to escape! But in these recent stories, its not the presence of something new, but the ability to tease apattern out of a lot of little things we already know that’s the big deal. It’s not thenewsness of failure; as Sholin might put it, it’s the weight of failure. It remains to be seen how this new focus on “the pattern” will change our political culture, our news culture, and the expectations we have of journalism. And it will be interesting to see what the focus on data leaves out. This week, however, big-data journalism proved its mettle.

Dieses „mettle“, die Veranlagung des Datenjournalismus ist, dass die Zeitungen den Lesern eine Rechercheumgebung liefern. Also große Datensätze aufbereitet und zugänglich macht – aber nicht unmittelbar interpretiert. So wie es auch das vor wenigen Wochen erschiene Top Secret America der Washington Post tut (das leider seine Quellen nicht als Rohdaten anbietet).

Wie so etwas auch aussehen kann, lieferte bereits am Dienstagabend die französische Datenjournalismus-Agentur OWNI. Sie startete eine Anwendung, um die 75.000 veröffentlichen Afghanistan-Protokolle zu filtern, zu durchsuchen und zu kommentieren. Drei französische Medien, darunter die Monde Diplomatique unterstützen das Angebot.

owni_fr_warlog_application
Recherche-Anwendung von owni.fr zu den Afghanistan-Warlogs

Hier zeigt sich, worauf es ankommt: OWNI hat ein Team von Entwicklern und Journalisten, die innerhalb von 48 Stunden eine sinnvolle Anwendung entwickeln und umsetzen können. Laut einem Mitarbeiter der Agentur waren auch deutsche Zeitungen gefragt worden, ob sie eine ins Deutsche übersetzte Version der Software unterstützen würde. Dies sei aber jeweils negativ beschieden worden.

So bleibt zu hoffen, dass deutsche Medienhäuser nun mehr auf den Geschmack kommen, Datenjournalismus als Format anzuerkennen und zu betreiben. Schön wäre doch etwa eine Aufbereitung der vielseitigen Toll Collect-Verträge (LKW-Maut), die in Teilen seit Ende letzten Jahres bei Wikileaks abrufbar sind.

4 Gedanken zu „WarLogs, Big Data und die Folgen für den Journalismus“

  1. sehr schöner Post. Ich glaube auch, dass der Journalismus einem grundlegenden Wandel unterliegt und Datenjournalismus eine neue Disziplin werden wird, vor allem was die Visualisierung betrifft. Journalisten verlieren ihre Gatekeeper-Rolle zusehends, sie sollten sich daher darauf konzentrieren, echten Mehrwert für den Leser zu schaffen.

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