Skizze einer Innovationsförderung für Journalismus

Wie sich 10 Prozent der geplanten 220 Millionen-Förderung für Presseverlage sinnvoll ausgeben ließen

Es lässt sich darüber streiten, was Innovation im Journalismus eigentlich bedeutet. Das will ich an dieser Stelle aber nicht tun, sondern auf die Diskussion des Begriffs in der Studie „Die Innovationslandschaft des Journalismus in Deutschland“ der Landesmedienanstalt NRW aus dem Sommer 2020 verweisen (S. 8ff.). Dort wird vor allem auch auf die „Produktinnovation“ eingegangen, die so umrissen wird: „Veränderungen bei den am Markt angebotenen Produkten und Dienstleistungen des Journalismus, die für Kundinnen und Kunden sichtbar und nutzbar sind“.

Ich habe in den letzten zehn Jahren an einer Handvoll Firmen und dann noch nicht gestarteten Vorhaben, die man zum Bereich der journalistischen Produktinnovation zählen könnte, mitgearbeitet. Während bei mir am Anfang eher Enthusiasmus in Paarung mit Blauäugigkeit und Ahnungslosigkeit über Business und Branche bestimmende Faktoren waren, wandelte sich mein Enthusiasmus in späteren Jahren mehr hin zu Ernüchterung: Die Innovationsbehäbigkeit in geraumen Teilen der Sender- und Verlagsbranche plus einer kargen Förderlandschaft bildeten zumindest für mich nicht das Ökosystem, in dem ich mich weiter unternehmerisch betätigen wollte (eine Bestandsaufnahme der Branche und Fördersituation liefert oben genannte Studie). So skizziere ich im Folgenden ein Förderprogramm auf Basis meiner Erfahrungen und dem, was ich von Kolleg*innen über deren (z.T. gescheiterten) Vorhaben mitbekommen habe.

Wenig Impact

Wenn ein Förderprogramm „Innovation“ im Journalismus befördern soll — und nicht im benachbarten Verlagswesen oder Anzeigenbusiness –, muss es eine langfristige Entfaltung der redaktionellen Arbeit und gar den ein oder anderen Pivot (Schwenk) unterfüttern. Wenn es weniger um unmittelbaren Journalismus (Artikel & Sendungen), sondern um technische Lösungen, etwa für spezielle Formate und Dienste, geht, dürfte eine über mehrere Jahre angelegte Förderung ebenfalls geeignet sein. Deren Ziel sollte nicht sein, Hirngespinste von Unicorn-Medien-Startups zu befördern und Renditeerwartung von VCs (Venture Capitalists) zu stillen. Sondern Redaktionen und Dienste zu schaffen, die sich als KMU — Klein- und Mittelständische Unternehmen — oder Verein-Firmenkonstrukten, Genossenschaften usw. etablieren können, um ein zeitgemäßes journalistisches Ökosystem zu formen: Dieses dürfte im Wesentlichen im digitalen Raum stattfinden.

Der Impact von kurzfristigen Förderprogrammen ist überschaubar. So haben die 21,5 Millionen Euro, die Google unter dem Dach der “Digital News Initiative” in Deutschland über fünf Jahre hinweg ausschüttete, wenig Spuren hinterlassen. Der Effekt des „Prototypefund“ der Open Knowledge Foundation Dtl., finanziert vom Bundesforschungsministerium, der mittlerweile hunderte Vorhaben mit bis zu 50.000 Euro aus dem Sektor „Civic Tech“ & Co. ausstatte, ist ebenfalls übersichtlich: Hier fehlt eindeutig ein Anschlussprogramm, das vielversprechenden Konzepten eine längerfristige Perspektive bietet.

Fünf Jahre

Solch eine Perspektive könnte den Zeitraum von fünf Jahre umfassen:. Innerhalb dieses sollte sich im Falle des Journalismus eine Medienmarke — ob lokal, regional, bundesweit oder in einer Nische — soweit etablieren können, dass sie sich eine eigenständige und tragende Finanzierung erarbeiten kann. Die Rede ist hier von Redaktionen oder Dienstleistern mit einer schlanken Verwaltungsstruktur, die eher bei einer Personaldecke von 10 bis 20 Personen als von 50 oder mehr liegen wird. Eine Vorstellung von einer Kostenstruktur eines journalistischen Projekts in dieser Liga gaben unlängst die „Krautreporter“ preis; der Monatsbericht von “netzpolitik.org“ verschafft ebenfalls einen Eindruck der Kosten von journalistischen Unternehmungen, die nicht Verlegerfamilien oder Aktienbesitzer*innen reich machen sollen.

Nehmen wir ein Zehntel der 220 Millionen Euro, die seitens der Bundesregierung an Verlage vergeben werden soll, als Grundlage: Mit 22 Millionen Euro ließe sich ein sechsjähriges Förderprogramm auflegen, das zehn journalistische Vorhaben solide für fünf Jahre finanzieren könnte. Das Fördermodell würde auf Basis eines Stufenplans mit drei Phasen funktionieren: Prototyp, Konkretisierung und Umsetzung.

Eingangs müsste der organisatorische Rahmen aufgesetzt werden, der über die gesamte Strecke etwa 3 Millionen Euro Kosten verursachen wird (Overhead): Neben Personalmittel, Miete und Sachkosten schlagen hier auch Honorare für Beirat, Mentoring und Coaching zu buche. Rund ein halbes Jahr dürfte es dauern, bis die Geschäftsstelle des Programms etabliert und entsprechendes Personal eingestellt ist (je nach Phase drei bis zehn Personen). Weiter müsste die Ausschreibung für die Prototypenphase veröffentlicht und ein Beirat gefunden werden. Auch müssten entsprechende Mentor*innen und Coaches identifiziert werden.

Prototypenphase

Nach der Bewerbungsphase für die Projekte und die entsprechende Auswahl durch den Beirat starten 50 ausgewählten Projekte, die für sechs Monate 50.000 Euro Mittel erhalten. Sie werden durch Coaches und Mentor*innen begleitet und können zusätzlich noch Trainings (z.B. Marktanalyse, Buchhaltung, Finanzplanung, Personalwesen, Rechtliches) wahrnehmen.

Ab dem 4. Monat der sechsmonatigen Prototypenphase sichtet der Beirat die 50 Projekte und legt verschiedene Bewertungsverfahren an. So werden Ende des 5. Monats zwanzig von den fünfzig ausgewählt, die ihr Projekt konkretisieren können (ggf. könnten sich an dieser Stelle auch bestehende Projekte bewerben).

Konkretisierung

Die zwanzig Projekte, die überzeugt haben, erhalten für ein Jahr 200.000 Euro. Der Launch, zumindest einer ersten Version (Beta, MVP — Minimal Viable Product) sollte nach 2/3 dieses Jahres erfolgen. Gleichzeitig erarbeitet jedes Projekt – unterstützt durch Mentoring und Coaching – Personal- und Businesspläne. Diese Pläne, das Team sowie die Gestalt der eigentlichen Unternehmung dienen dann als Grundlage, anhand derer im 10. Monat die Hälfte der zwanzig Vorhaben für eine vierjährige Förderung vom Beirat ausgewählt werden.

Umsetzung

Mit einem Budget von insgesamt 1,25 Millionen Euro ausgestattet, die in jährlichen Chargen ausgezahlt werden, können sich die Vorhaben nun etablieren. Die Förderung in den ersten beiden der vier Jahren liegt bei je 400.000, im dritten bei 300.000 und im letzten bei 150.000 Euro (siehe Grafik ganz oben). Diese Staffelung bietet anfangs genug finanzielle Stabilität und Planungssicherheit. Sie verlangt aber auch, will die Unternehmung auf mindestens gleichen Niveau weiter operieren, das in den ersten beiden Jahren ein wie auch immer geartetes absehbar tragendes Finanzierungsmodell gefunden wird. Innerhalb der vier Jahre können die Projekte auf ein gewisses Kontingent von Mentoring und Coaching sowie Beratungen zugreifen.

Selbstredend gäbe es für solch ein Programm noch viele Details zu klären: Wie sieht ein (möglichst wenig aufwendiges) Reporting aus? Wie gestaltet sich das Controlling der Finanzen? Wie setzt sich der Beirat zusammen und wie transparent operiert er? Wer ist Träger des Programms, der staatsferne gewährleistet? Könnten thematische Vorgaben — z.B. 50 Prozent der sich bewerbenden Vorhaben müssen einen lokaljournalistische Ausrichtung haben — Sinn ergeben?

Jedenfalls denke ich, dass ein Programm dieser Art dem hiesigen Journalismus guttun würde. Mit zusätzlichen 4 Millionen Euro pro Jahr könnte es sogar verstetigt werden und in einigen Jahren würden dann jährlich zehn journalistische Vorhaben starten. Die dann hoffentlich gekommen sind, um zu bleiben.


Transparenzhinweis: Der Autor hat als “datenjournalist.de” den Aufruf des “Arbeitskreis Digitale Publisher“ anlässlich der 220 Mio. Förderung unterzeichnet. In dem Zusammenhang sei auch auf den Offenen Brief des “Forum gemeinnütziger Journalismus” verwiesen.

Zuerst erschienen bei Medium.

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