Hyperlocal: Lokaljournalismus und OpenData in den USA und Deutschland

Lokaljournalismus lebt davon, dass die Leser immer auch das interessiert, was sie kennen: Der Verein um die Ecke, der Einbruch beim Nachbarn gegenüber und das Angebot vom Laden die Straße herunter. Hyperlokal, auf den unmittelbaren Straßenzug eingegrenzte Berichterstattung sei deswegen die Zukunft des Lokaljournalismus im Web, heißt es.

Im Folgenden geht es zuerst um entsprechende Angebote in den USA – namentlich Everyblock. Im zweiten Teil des Beitrags wird dann ein Blick auf den Stand in Deutschland geworfen und die Probleme mit den Informationen aus der öffentlichen Hand (OpenData). Schließlich geht es um Geschäftsmodellefür Netz-Lokalberichterstattung und den Anzeigenmarkt im mobilen und geolokalen Internet.

Everyblock Beispiel Ausschanklizenz

Hyperlocal, so wird die Zukunft des Lokaljournalismus sein. Meinen manche. Vorreiter dieses Ansatzes ist das US-Projekt Everyblock, das 2007 startete. Mittlerweile ist es für 16 große US-Städte verfügbar. Es generiert keine eigenen Inhalte sondern aggregiert sie, sammelt sie ein. Man versteht sich als „geographischer Filter“ heißt es in der Selbstdarstellung. Dabei geht es nicht um statischen Daten für eine Gegend, etwa Adressen von Schulen. Sondern um Nachrichten im weitesten Sinne, die sich auf einen Standort beziehen und ein Datum haben.

Diese Informationen werden nicht auf Stadtteile (boroughs) sondern auf Nachbarschaften (neighborhoods) heruntergebrochen – hierzulande würde das wohl „Viertel“ oder „Kiez“ genannt. Die Palette der Informationen zur unmittelbaren Nachbarschaften ist groß, siehe folgende Abbildung.

Everyblock Kategorien Themen

Sie reicht von Ankündigungen, Erwähnung in den Medien und politischen Neuigkeiten über Immobilienangebote, Graffitientfernung, Ausschanklizenzen, Schulbesprechungen, Baugenehmigungen bis hin zum Polizeiticker. Zugänglich sind die Informationen neben den üblichen Suchmöglichkeiten auch per Karte – im folgenden Beispiel sind aus sanitären Gründen geschlossene Pools in Los Angeles eingetragen. Zu jeder Nachricht lässt sich bei Everyblock die Quelle abfragen – in diesem Fall ist es das Gebäudeamt der Stadt Los Angeles.

Everyblock Swimmingspools LA

Die Quellen insgesamt sind mannigfaltig: Fotos von Flickr, Anzeigen von Craigslist, von diversen Blogs und Zeitungsseiten und eben öffentlichen Informationen, die entweder als OpenData vorliegen oder andersweitig von Behörden zur Vergügung gestellt werden. OpenData meint Informationen der öffentlichen Hand (Behörden, Regierung), die im maschinenlesbaren Format (in strukturierter Form in einer Tabelle (csv, xls) oder per Schnittstelle (z.B. JSON, XML)) verfügbar gemacht werden.

Neu hinzugekommen ist bei Everyblock die Möglickkeit, Kommentare und Nachrichten an die Nachbarn zu schreiben. Das könnte einmal die Tür  zu einer neuen Art von lokalspezifischen Journalismus (Citizien Journalism) und Austausch in der Nachbarschaft beitragen – aber auch zu Werbung und Kleinanzeigen mit einem engen regionalen Bezug – kommerzielle Nachrichten sind erlaubt.

Alternativen zu Everyblock sind in den USA outside.in (u.a. von CNN) und patch (AOL).

Einer der Köpfe hinter Everblock ist Adrian Holovaty – er grenzte sich gegen den Begriff „hyperlocal“ ab, der seiner Meinung nach zu unscharf genutzt wird, weil damit auch große Regionen gemeint werden. Dem entgegen versteht er Everyblock als „microlocal„.

Holovaty und sein Team ernteten einiges an Kritik, als Everyblock verganges Jahr an MSNBC verkauft wurde; ein Konsortium des IT-Unternehmens Microsoft und des Medienunternehmes NBC Universal. Immerhin war Everyblock mit 1,1 Mio. USD über zwei Jahre von der Journalismusstiftung Knights Foundation gefördert worden. Holovaty begründete den Schritt damit, dass nach Auslaufen der Förderung neue Finanzierungsmöglichkeiten benötigt gewesen wären; man habe dem Team, das komplett übernommen wurde, Unabhängigkeit zugesichert. Die Knighs Foundation freute sich über den Verkauf, weil ihre Arbeit soviel Einfluss zeigen würde.

Zwar liegt der Sourcecode von Everyblock offen, wie es die Stiftung verlangte. Allerdings wird der offenbar nach dem Verkauf Mitte 2009 nicht mehr aktualisiert. Wohl ein Grund, warum die Knights Foundation nun das Projekt OpenBlock unterstützt: Die Nachbarschaftsberichterstattung wird mit knapp einer halben Million US-Dollar gefördert – zwei Tageszeitungen sollen mittels der OpenBlock-Plattform demnächst Pilotprojekte starten. Die Plattform selbst wird von dem non-profit Unternehmen OpenPlans vorangetrieben.

Der Stand der Dinge in Deutschland

Wie sieht die Lage in Sachen hyperlocal/microlocal in Deutschland aus?

Es gibt Ansätze von hyperlocalen Angeboten. Folgt man der Faustregel, dass es zwei bis vier Jahre dauert, bis sich ein Trend aus den USA in Deutschland durchsetzt, dürfte es also in kommender Zeit in einiges an Bewegung geben. Mal sehen, wann Holtzbrinck, Springer und Co. in diesen Bereich investieren.

Seit einiger Zeit bastelt Robert Basic, der vor allem für seine Selbstvermarktung bekannt ist, an einem hyperlokalen Projekt. Es heißt folgerichtig buzzriders – in welchem Entwicklungsstand es sich befindet ist allerdings unklar. Seit Februar hat sich zumindest auf der dazugehörigen Website nichts getan.

Fortgeschrittener ist da das Projekt Frankfurt gestalten, das im Frühjahr diesen Jahres startete – es ist allerdings weniger journalistisch ausgerichtet und zielt mehr auf Beteiligung vor Ort.

Frankfurt gestalten Startseite

Gut lässt sich an „Frankfurt gestalten“ zeigen, wie schwierig es ist, an OpenData – an automatisierte Informationen aus den Verwaltungsapperaten – zu kommen. Christian Kreutz berichtete im Frankfurt gestalten-Blog, wie erst durch einen Bericht in der FAZ plötzlich seitens der Verwaltung der Mainmetropole  Kooperationsbereitschaft signalisiert wird. Konkret geht es um einen automatisierten Zugang zu dem Stadtinformationssystem „Parlis“.

Kreutz meinte im gleichen Beitrag an, dass man „Seismograph lokaler Entwicklung“ sein wolle, der „unterschiedlichste Informationen und Diskussionen“ zusammenführe. Das Angebot soll ausgebaut werden.

Ein anderes hyperlokales Vorhaben findet sich in Berlin. OpenBerlin, ein vom OpenData Network gestartetes Projekt, bildet derzeit die Maßnahmen im Rahmen des Konjunkturpakets II in der Stadt ab.

Interessant werden die Informationen, weil sie mit dutzenden Datensätzen aus dem Fachinformationssystem – bspw. über die Sozialstruktur der Bezirke der Hauptstadt – verschränkt werden können (siehe Video). Diese Datensätze sind allerdings nicht Daten im Sinne von OpenData – also leicht zugänglich – sondern erfordern einiges an Programmierleistung, um sie in die Karte einzubinden.

Lokalzeitung 2.0

Nun sind diese beiden Beispiele noch nicht mit der Vielfältigkeit der Informationen zu vergleichen, die  Everyblock bietet. Aber sie weisen in die Richtung, wie Lokalberichterstattung sich weiterentwicklen kann. Derzeit scheint in Deutschland die Zukunft des Lokaljournalismus noch unter Eindruck des mittlerweile recht ausgelutschten Themas „Journalismus vs. Blogger“ diskutiert zu werden.

Lokale Blogs werden einen Teil des Lokaljournalismus übernehmen und zunehmend für regionale und eben hyperlokale Werbung interessant. Lesenswert hierzu der ausführliche Beitrag von Anfang diesen Jahres: Lokale Blogs vs. Lokalzeitung: 2.0 : 1.0 von Detlev Brechel. Schön auch die Serie zu „Lokaljournalismus 2.0“ von Marian Semm. Dort schreibt er auch zum „Geschäftsmodell“ von Lokalzeitungen und der Diskussion zu „paid-content“.

Ob so etwas wie ein „paywall“, eine Bezahlfunktion für Online-Artikel, wie in die britische Times nun unter Rupert Murdoch eingeührt wurde, wirtschaftlich funktionierten kann, ist äußerst umstritten. Als Alternative zeigt sich der erst kürzlich gestartete Microbezahldienst Flattr – die taz steigerte ihre Einnahmen im Juni immerhin um 275% gegenüber dem Vormonat auf fast 1000 EUR.

Letztlich wird aber der Anzeigenmarkt auch hyperlokal im Web eine immer größere Rolle spielen. Noch lassen sich online keine Prospekte von den Supermarkt-, Bauhaus- und Elktromarktketten beilegen. Auch ein Grund, dass es den kostenlosen Wochenblättern in Deutschland trotz aller Zeitungskrise halbwegs gut zu gehen scheint – die Auflage bleibt stabil, wie folgende Statistik zeigt.

So verkündete der Bundesverband Deutscher Anzeigenblätter BVDA kürzlich in einer Pressemitteilung: „Über 86 Prozent der Deutschen über 14 Jahre lesen Anzeigenblätter. Zwei von drei Deutschen sogar regelmäßig, das sind über 40 Millionen Stammleser (Allensbacher Werbeträger Analyse).“ Weiter heißt es: „Anzeigenblätter haben eine lokale Scout-Funktion, sie dienen als Ratgeber und Orientierungshilfe. Das macht sie für Angebote des lokalen Handwerks und Handels besonders attraktiv, vor allem wegen ihrer hohen Haushaltsabdeckung und nahezu flächendeckenden Verteilung.“

Doch sind diese beschworenen Eigenschaften der Anzeigenblätter, problemlos vom Internet zu erfüllen. Und es ist abzusehen, dass das mobile Internet durch neue Geräte einen weiteren Schub erfahren wird: Immer mehr Smartphones werden gekauft und zu Weihnachten steht eine  Welle von Tablet-Geräte im Nackklapp des iPads an.

Anzeigenblätter, die auf verschiedenem Niveau Lokaljournalismus betreiben, steht die Krise erst bevor. Die netzaffinen Bevölkerungsgruppen werden geobasierte Informationen, die per GPS an ihren Standort angepasst werden, goutieren – nicht zuletzt auch das digitale Prospekt vom Supermarkt an der Ausfallstraße auf dem Weg zur Arbeit.

Wer macht es?

Aber um abschließend den Bogen zu OpenData zu schlagen: Die (Wahl-)Bürger werden ebenso erwarten, dass Politik und Verwaltung ihnen zeitgemäß Informationen und Beteiligung ermöglicht. Und wünschenswert wäre eine Anwendung, die wie Everyblock zahlreiche Informationsstränge und -quellen ineinander vereint.

Bleibt die Frage, ob ein solches Angebote nun kommerziell von Medienkonzernen á la Everyblock daherkommen wird (das selbstredend eine mobiles Angebot (für Android, Blackberry und Co) sowie eine iPhone-App im Angebot hat).

Oder wird so ein Service aus dem Non-Profit-Sektor kommen? Das ist zu bezweifeln. Die deutsche Stiftungs- und Förderlandschaft ist konservativ; journalistische Programme beschränken sich meist auf Stipendien – eine relevante  Förderungen von nicht-kommerziellen Journalismusformen oder Beteiligungsprojekten ist in Deutschland so gut wie nicht vorhanden.

4 Gedanken zu „Hyperlocal: Lokaljournalismus und OpenData in den USA und Deutschland“

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