Julius Tröger leitet das Interaktiv-Team bei der Berliner Morgenpost (Foto: Matthias Piket).
Was sind die wesentliche Aspekte, warum Du immer wieder datenjournalistische Formaten einsetzt?
Datenjournalismus liefert uns exklusive Geschichten. Ohne unsere eigene Datenbank hätten wir zum Beispiel nie herausgefunden, dass hunderte Flugzeuge über Berlin leer vom einen zum anderen Flughafen fliegen.
Außerdem können wir mit Datenvisualisierungen komplexe Sachverhalte einfach darstellen, z.B. mit unserer Grafik zum Berliner Volksentscheid. So können wir auch Nachrichten prinzipiell auf jeden einzelnen Berliner herunterbrechen, wie etwa mit unserer Mietkarte oder unseren Wahlkarten.
Unsere Aufgabe im Interaktiv-Team ist es einerseits, neue Geschichten abseits der üblichen Recherchequellen zu finden. z.B. in Sensordaten. Und andererseits Geschichten so zu erzählen, dass sie vor allem im Web funktionieren.
Wie reagiert Euere Leserschaft? Bekommt Ihr viel Feedback und kannst Du etwas über die Zugriffszahlen sagen?
Feedback bekommen wir vor allem über Twitter und Facebook. Unsere Geschichten zählen regelmäßig zu den am meisten geteilten und abgerufenen auf morgenpost.de. Die Berlinwahlkarte etwa war mit mehr als 350.000 Visits und rund 23.000 Social-Media-Shares einer der erfolgreichsten Artikel der Berliner Morgenpost.
Auch im vergangenen Jahr holten Daten-Geschichten die meisten Visits: die Story rund um Berliner und Zugezogene 160.000 und die Mietkarte 140.000 Visits. Unser Flugrouten-Radar wird täglich rund 500 Mal abgerufen.
Die von Dir genannten Beispiele sind alle werbefrei. Welche Überlegungen gibt es bei Euch im Haus, mit datenjournalistische Projekten unmittelbar Geld zu verdienen – oder reicht der Leuchturmcharakter der Projekte?
Werbekunden interessieren sich immer mehr für Datenjournalismus, sagen unsere Kollegen aus der Vermarktung. Deshalb hatten wir einen Werbeplatz auf der interaktiven Karte über Zugezogene eingebaut, der auch gleich gebucht wurde. Ein Unternehmen hat eigens dafür einen responsiven Banner erstellt und will auch in Zukunft gezielt auf unseren interaktiven Geschichten Werbung schalten. Wir hoffen natürlich, dass noch weitere dazukommen.
Wie beurteilst Du den Stand von Datenjournalismus im deutschsprachigen Raum?
Datenjournalismus ist nicht mehr nur ein Buzzword für Journalisten, sondern heute auch bei Lesern angekommen. Das haben wir vor allem bei den positiven Reaktionen auf unsere neueste Geschichte über Berlins soziale Unterschiede entlang der Buslinie M29 gemerkt.
Es gibt mittlerweile eigentlich keinen Monat mehr, in dem nicht mindestens eine interessante Geschichte veröffentlicht wird, die auf Daten basiert. Und das nicht nur von Zeit Online, Spiegel Online, Süddeutsche und Co., sondern auch von kleinen Redaktionen wie etwa der Heilbronner Stimme oder den Ruhr Nachrichten.
Viele Redaktionen tun sich aber noch immer schwer mit dem Gedanken, mit Entwicklern zusammen eine Geschichte zu planen oder mit Excel statt nur mit Word zu arbeiten. Es gibt noch so viele Daten-Geschichten zu erzählen, die sich mit den immer einfacher werdenden Tools oft sehr schnell umsetzen ließen.
Wie kann man Datenjournalismus lernen?
Am besten startet man ein Projekt und versucht, die entsprechenden Hürden nach und nach selbst zu nehmen. So haben wir das gemacht. In Foren, Mailinglisten oder bei Twitter wird einem eigentlich immer geholfen, wenn man einmal nicht weiterkommt. Es gibt unzählige Tutorials mit denen man unterschiedlichste Aspekte aus diesem Bereich lernen kann.
Allerdings kann man Datenjournalismus auch nie auslernen. Beinahe täglich gibt es neue Web-Technologien und Recherche-Tools. Ich selbst besuche in diesem Jahr mehrere Statistik- und Datenbankkurse.
In welche Richtung werden sich datenjournalistische Formate entwickeln?
Ich glaube, das kann keiner so genau sagen. Das Besondere am Journalismus im Web ist ja, dass wir für jede einzelne Geschichte entsprechende Formate maßschneidern können. Aufgrund
der Vielfalt der Datensätze und der neuen technischen Möglichkeiten, werden wir in Zukunft immer wieder überraschende, völlig neue Formate zu sehen bekommen – und das für die unterschiedlichsten Endgeräte.
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Das Interview wurde per E-mail geführt.