Chris Taggart begann vor zwei Jahren, das Projekt Openly Local aufzubauen. Es sammelt Gemeinderatsinformationen in Großbritannien. Die Hälfte aller knapp 400 Räte hat das Open-Data-Projekt mittlerweile erfasst. Im Interview erläutert der britische Journalist, wie diese Arbeit dazu führte, ein weiteres Vorhaben anzugehen, eins namens OpenCorporates.
Worum geht es bei Openly Local?
Chris Taggart: Auf vielen britischen Gemeinderats-Websites fällt es schwer, sich zu orientieren. Manche sind komplett unzugänglich. Keine Spur von Barrierefreiheit. Oft werden sie von Suchmaschinen wie Google nicht erfasst, weil sie falsch aufgesetzt sind. Es gibt beispielsweise so gut wie keine Ratswebsite, die eine Liste aller Ratsmitglieder herausgibt oder eine Übersicht über die Ratssitzungen.
OpenlyLocal ist also ein Angebot, die Informationen zugänglich zu machen. Die Datensätze können von anderen Leuten weiterverarbeitet werden. Lokale Blogs, die über eine ganz spezifischen Ort, etwa einen Kiez oder ein Dorf berichten, nutzen Daten von OpenlyLocal.
Welche Informationen erhält man?
Taggart: Bei uns kann man beispielsweise eine Liste der kommenden Sitzungen abonnieren. Wir wissen sogar von Ratsmitgliedern, die unser Angebot nutzen, um die Tagesordnung zu bekommen. Weil die Website ihres eigenen Rats das nicht kann.
Ihnen geht es aber um mehr als eine reine Dienstleistung, oder?
Taggart: Mit OpenLocaly habe ich ein Fundament gelegt. Jetzt werden auch Bevölkerungsstatistiken eingebaut oder Informationen über das örtliche Polizeipersonal. Und was ganz wichtig ist: Es werden nun auch Finanzinformationen eingelesen. Wir hatten in Großbritannien die umfassendste Veröffentlichung von Finanzdaten weltweit, was den lokalen Bereich angeht. Jeder Gemeinderat muss seit diesem Januar alle Ausgaben über 500 Pfund dokumentieren. Über dreihundert Räte veröffentlichen jetzt jeden Monat was sie ausgeben. OpenlyLocal dokumentiert derzeit Ausgaben in Höhe von insgesamt 40 Milliarden Euro in 1,8 Millionen Transaktionen.
Was lässt sich mit diesen Informationen anfangen?
Taggart: Nun haben wir die Datensätzen der Ausgaben von Gemeinderäten. Als Journalist, auch als Bürger fragt man sich: Was nun? Interessant ist sicherlich: Wo geht das Geld hin? Wer bekommt es? Korruption spielt da eine Rolle. Aber generell auch: Wer liefert und arbeitet für die Regierungen? Also stellt sich die Frage: Wie gleiche ich das ab? Ist beispielsweise eine Firma, die als „Berliner Klempner Firma“ firmiert die gleiche, die an anderer Stelle als „Klempnerei Berlin“ bezeichnet wird? Es ist also notwendig, diese Eigennamen mit Gebilden oder Einheiten zu verknüpfen, die tatsächlich existieren. In der echten Welt haben Unternehmen dazu beispielsweise eine Handelsregisternnummer.
An dieser Stelle kommt OpenCorporates ins Spiel.
Taggart: In technischer Hinsicht ist es verhältnismäßig einfach, Begriffe und Namen abzugleichen. Aber es braucht eine Datenbank, die abgefragt werden kann.
Mir ging auf, dass das nicht nur mein Problem war. Regierungen und Firmen haben die gleichen Fragen, genau wie Aktivisten. Das ist auch kein spezifisch britisches Problem, sondern ein globales. Denn Unternehmen bestehen oft aus einem Netzwerk von Firmen, verteilt über die ganze Welt. Wir brauchen daher eine globale Firmendatenbank. Im Herbst vergangen Jahres habe ich begonnen, mit OpenCorporates eine solche umzusetzen: eine komplette Liste aller Unternehmen weltweit.
Woher stammen die Informationen?
Taggart: Wir entnehmen die Daten den offiziellen Handelsregistern. Wir starteten mit Großbritannien und Steueroasen wie Jersey und Bermuda. In Großbritannien gibt es eine staatliche Datenschnittstelle (API). Die britische Regierung fördert OpenData; es gibt aber auch in anderen Ländern Unterstützung.
Eine Community unterstützt das Projekt. Leute erklären sich für das Handelsregister einzelner Länder verantwortlich. Wir packen es dann an einer Stelle zusammen und veröffentlichen es als offene Daten, die andere weiterverwenden können. Auch so mancher Finanzbeamte nutzt mittlerweile OpenCorporates.
Kommen Sie problemlos an die Daten heran?
Taggart: Wenn es um den legalen Rahmen geht, bewegen wir uns im Graubereich. Aber da wir von einigen Ländern unterstützt werden, ist es für andere schwer zu sagen: „Wir wollen das nicht.“ Denn es würde letztlich bedeuten, dass sie keine Transparenz wollen.
Was ist mit dem deutschen Handelsregister?
Taggart: Das würde ich gerne integrieren. Aber es gibt einige Probleme. Wir müssen erst noch besser verstehen, was genau die Unternehmensnummer in Deutschland bedeutet. Denn alles, was wir tun, dreht sich um diese Nummer – auf ihr beruht unsere Datenbank. In Deutschland arbeiten einige Menschen derzeit daran, Zugriff auf diese Informationen zu bekommen. Noch ist auch unklar, wie die offizielle deutsche Reaktion ist. Ich denke aber nicht, dass die Angelegenheit strittig ist. Das Handelsregister ist immerhin öffentlich. Schon im siebzehnten Jahrhundert, als Deutschland das wohl erste Handelsregister der Welt hatte, war es als öffentliches Register angelegt. Und heutzutage meint öffentlich eben Open Data: jedem zugängliche Datensätze.
Welchem Zweck kann OpenCorporates dienen?
Taggart: Wir leben in einer Welt, die sich rapide verändert. Es geht dabei nicht nur um das Internet. Auch die Möglichkeiten für Firmen, in anderen Ländern zu agieren und ihre Profite über Grenzen hinweg zu bewegen, haben sich verändert. Jedes Land sieht seine Steuereinnahmen schwinden, wenn Firmen ihre Profite in günstigere Steuerregionen verschieben.
Um eine demokratische Aufsicht zu gewährleisten, brauchen Regierungen und Bevölkerung eben solche Informationen. Unternehmen selbst haben diese, weil sie sie kaufen können. Wir müssen diese Asymmetrie korrigieren. Denn Demokratie braucht eine ausgeglichene Informationsbalance, damit die Bürger entscheiden können, wer wie regieren soll.
— Siehe auch „Open Data is about Data Democracy“ hier im Blog
— Fotonachweis oben: Chris Taggart
— Der Interviewtext steht unter einer Creative Commons Lizenz: CC-by
— Zuerst erschienen auf zeit.de