„Verschwendungsatlas“ des Bundes der Steuerzahler
Einen Monat nach der Bundestagswahl herrscht Ebbe in Sachen Datenjournalismus in Deutschland. Alle Energie (und Gelder) scheinen in die etlichen Visualisierungen und Datengeschichten zur Bundestagswahl geflossen zu sein.
So wird einmal mehr deutlich, dass es hierzulande bei Zeitungen und Nachrichtenportalen Teams bräuchte, die tages- oder zumindest wochenaktuellen Datenjournalismus machen könnten. Das wäre durchaus notwendig, denn an datenlastigen Themen mangelt es nicht; manche Dimension lässt sich eigentlich nur schlüssig mit Unterstützung einer Datenvisualisierung für die Rezipienten darstellen. Und der große Vorteil an entsprechend geplanten datenbankgetriebenen Apps ist: Sie können sich fortschreiben, mit neuen Zahlen füttern, wiederverwenden lassen.
Vier Beispiele:
- Mitte des Monats berichtete die SZ, dass EU-Kommisssar Öttinger den Energiesubventionsbericht geschönt haben soll. Viele Millionen staatlicher Subventionen für Kernkraft und konventionelle Energie wurden gestrichen, weil es keine gesicherten Zahlen gebe. Was stimmt? Lassen sich Zahlen finden, wie stehen die im Verhältnis zu den „erneuerbaren Energien“ und wie ließe sich das schlüssig darstellen?
- Die Methodiken des Bund des Steuerzahlers sind umstritten. Es gibt wohl eine Neigung Geschichten aufzubauschen. Anlässlich des eben erschienenen „Schwarzbuchs“ des Vereins – online mit einem Verschwendungsaltas – wäre es angebracht, zumindest stichprobenartig nachzurechnen und gegenüberzustellen.
- Wer wusste schon, dass die Kirchen in Deutschland jährlich große Mengen Geld vom Staat bekommen, u.a. wegen Enteignungen von vor 200 Jahren? Dem Limburger Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst darf man insofern danken, dass er diesen Fakt wieder ans Licht gebracht hat. Jetzt wäre es an der Zeit, die Summen, Zahlungen und Besitztümer der Kirchen in einer ansprechenden Datenanwendung zusammenzutragen und darzustellen. Zur Inspiration könnten die Zahlen der Website stop-kirchensuventionen.de dienen – die verifiziert werden müssten.
- Am kommenden Sonntag, den 3. November, gibt es in Berlin einen Volksentscheid darüber, ob künftig ein Stadtwerk in öffentlicher Hand die Energieversorgung der Großstadt gewährleisten soll. Unterdessen hat der Senat des Landes Berlin bereits beschlossen ein Stadtwerk einzurichten, offenbar um dem Entscheid zuvor zu kommen. Was ist nun der Unterschied zwischen dem Vorhaben des Senats und dem der Initiatoren des Volksentscheids? Wie hoch belaufen sich die Kosten für die Steuerzahler insgesamt und die einzelnen Verbraucher je nach Modell? Wie sieht es überhaupt aus mit dem Energieverbrauch in der Metropole? Diese Fragen hätten sich gut mit einer Datenanwendung beleuchten und beantworten lassen.
Ich vermute, ein Thema wie z.B. das Schönen dieses Energiesubventionsberichts durch Öttinger (den ich leider auch nur in einem Halbsatz auf http://www.belleando.de erwähnt habe), ist ein Thema, das nicht in an einem Tag oder „in einem Rutsch“ abgefackelt werden kann. So ein Thema zieht sich meist über Woche, wenn nicht gar Monate. Was ja bei den meisten Affären und Skandalen dieser Tage der Fall ist.
Aus diesem Grund kann ich mir vorstellen, dass die parallele Abarbeitung zu vieler „Großbaustellen“ den Otto-Normalleser überfordern würde und er das Interesse verliert. Möglicherweise ist das auch die Ansicht der, salopp ausgedrückt, Presse. EIN Aufhänger, EIN akutes Problem, zu dem sich „Experten“ äußern und verschiedene Lösungen vorbringen können. Und EIN Problem, auf das der Leser die allgemeine Gewichtung sieht und mit dem er sich auseinandersetzen kann. (EIN darf natürlich nicht wortwörtlich genommen werden 😉
Aber würden wir tagtäglich zehn-minütige Beiträge zu allen offenen Baustellen in Deutschland und Welt vorgesetzt bekommen, könnte der ein oder andere vielleicht anfangen, am Sinn des Lebens zu zweifeln 😉 oder sogar den Überblick verlieren! Dann reißt man alle anderen Themen lieber nur an – beschränkt ja auch den Aufwand für Recherche – und schmückt das Hauptthema, mit dem sich der Leser/Zuschauer eh schon identifiziert hat, noch ein bisschen aus.
Auch in Griechenland und Spanien gibt es diese Tage Proteste gegen immer neue Sparmaßnahmen und wegen steigender Arbeits- und Perspektivlosigkeit und die Probleme „da unten“ steigern sich exponentiell. Sollte das – auch wenn bei den Demonstrationen niemand zu Tode kommt – in unserer Presse ebenfalls thematisiert werden? Ab welchem Punkt ist es Overhead?