Trifft ein Journalismustrainer einen anderen. Bericht der eine: „Frag‘ ich die Studierende, was wollt ihr denn später im Journalismus machen? Und nicht wenige sagen, Seite 3 in der SZ oder FAZ schreiben.“ Schüttelt der zweite den Kopf: „Ja, dann frag‘ sie mal, wie viele von ihnen ein Zeitungsabo haben.“ „In der Regel keiner“, antwortet der erste. Beide lachen.
Zeitungsreporter ist der schlechteste Job, den man in den USA zur Zeit anstreben kann. Holzfäller und Militärangestelle kommen auf Platz 2 und 3 der Studie eines Jobportals, das solch ein Ranking seit vielen Jahren anbietet und Kriterien wie Einkommen, Aufstiegschancen und Stress anlegt.
Die sogenannte Zeitungskrise in den Vereinigten Staaten spielt zwar in einer anderen Liga, aber auch hierzulande sind die rosigen Zeiten längst vorbei. Die IVW-Zahlen für das erste Quartal 2013 geben eine Ahnung davon, dass die gedruckte Zeitungslandschaft in Deutschland in naher Zukunft weiter schrumpfen dürfte.
Die eingangs geschilderte Unterhaltung zeigt die seltsame Lage: Diejenigen, die heute Journalismus lernen, sind geprägt von Klischees, Vorbildern und Legenden, die ihnen in der Realitität ihres zukünftigen Berufsfeldes wenig bis gar nicht begegnen werden. Es ist das Dilemma, dass sie nicht selten Ausbildern gegenüber sitzen, die ebenfalls von diesen Bildern in ihrem Selbstverständnis geprägt sind und alten Zeiten hinterhängen.
Der Pariastatus, aus dem sich Onlinejournalismus nur langsam lösen kann, hat nicht zuletzt für Leerstellen in der Ausbildung gesorgt. Ausbildungswege in diesem Bereich hecheln, wenn überhaupt, der rapiden Fortentwicklung des Netzes hinterher. In den USA dagegen verlassen demnächst die ersten Absolventen des Studiengangs „Journalism & Computer Science“ die Columbian Journalism School.
Gibt es sowas im deutschsprachigen Raum? Meines Wissens nicht. Klar es gibt Studiengänge wie Informatik für Geistes- und Sozialwissenschafter. Oder Medieninformatik. Aber wo ist die Ausbildung, die Leute dazu befähigt, an der Schnittstelle zwischen IT, Webentwicklung, Redaktion und Verlag digitalen Journalismus zu betreiben, zu produzieren? Personen, die wissen, dass Datenjournalismus als „neue Kamera“ dient; die von Datenanalyse, von Statistik etwas verstehen, aber auch Datenbanken befragen können, die sie selber aufgesetzt haben. Die Daten scrapen, Visualisierungstools beherrschen und gängige Javascript-Visualisierungsframework einsetzen können. Die Servertechnologien überblicken und ein Verständnis vom Internet als Infrastruktur haben. Die aber auch wissen, wie Recherche verlässlich betrieben wird, die kritisch auf Daten und deren Quelle schauen; die gelernt haben, Themen und Geschichten zu erzählen.
Personen, die diese Fähigkeiten und dieses Know-How haben, dürften auf längere Sicht keine Probleme haben, einen Job zu finden. Es ist vielleicht ein Blick zuviel in die Glaskugel, aber ich würde schätzen, dass schon jetzt mindestens 30 Personen jährlich mit dieser Spezialisierung benötigt werden eigentlich benötigt wären (für den Bereich Publizistik inkl. Öffentlichkeitsarbeit und PR). Ich würde auch darauf wetten, dass selbst im deutschsprachigen Raum in absehbarer Zeit bei manchen Jobs im Journalismus ein Einstellungskriterium der Github-Account sein wird.
De facto ist das Usus bei uns bei OpenDataCity. Wir sind in den letzten 12 Monaten gewachsen und sind mittlerweile rund 10 Personen, die in unterschiedlicher Intensität an Datenstücken arbeiten. Monatlich bekommen wir zwei bis drei Praktikumsanfragen, mit steigender Tendenz. Fast immer von Männern. Überwiegend sind das Personen, die einen digital-technischen Hintergrund haben und sich im weiteren Sinne für gesellschaftspolitische Themen interessieren. Die nicht in einem Startup an irgendeiner generischen Webplattformen coden wollen. Ein Interesse über den Tellerrand der eigenen Profession zu schauen, den Willen zu Interdisziplinarität, braucht es.
Letztlich fehlt es in Deutschland an einem Äquivalent zu einer Online News Association, die in unseren Breiten u.a. Kriterien für neue Berufsfelder definiert. Die sich ohne den Ballast der Krise der alten Medienformate mit digitalen Journalismus befassen könnte. Die Ausbildungsinstitutionen beraten könnte, aber auch dazu drängen würde, sich an ihrem Bedarf für ihr Trägermedium, das Netz, zu orientieren. Oder als Verband selber Ausbildung organisieren würde.
Hallo Lorenz,
vielen Dank für deinen gelungenen Blog-Post. Genauso interessant ist es auch das Pferd von der anderen Seite her aufzuzäumen. Wenn aus einem Journalisten ein „Programmierer“ werden soll, dann müsste man auch einem Programmierer zu einem „Journalisten“ ausbilden können.
Wie hoch sind die Eintrittsbarrieren für einen Softwareentwickler, der einen Job in einem Zeitungsverlag sucht? Besteht überhaupt ein allgemeiner Konsens in der deutschen Medienlandschaft, dass beide Berufsbiler immer näher zusammenwachsen müssen, egal aus welcher Richtung man sich gegenseitig annähert?
Mathias
Danke für den Kommentar. Es gibt ein paar Anhaltspunkte, wie das Aussehen kann. Beispielsweise das Fellowship Programm von Knight-Open-News. http://www.mozillaopennews.org/fellowships/2013meet.html Oder die Ausschreibung bei Zeit Online für die Entwicklungsredaktion http://www.zeitverlag.de/wp-content/uploads/2011/12/13_leiterentwicklungsred_12.pdf (pdf)
Stimme dir grundsätzlich zu. Gibt aber schon ein paar Ausbildungselemente in die Richtung. Ich hatte im Studiengang Online-Journalismus an der Hochschule Darmstadt zum Beispiel zwei Praxis-Kurse zu Datenjournalismus.
Hier in Hamburg wird bald ein Studiengang starten, der in etwa das besetzten wird, was du oben beschreibst: Er richtet sich als Weiterbildung an bereits ausgebildete Journalisten im Beruf und soll sie befähigen an der Schnittstelle zwischen den aus der Informatik/Newsdesign kommenden Kollegen und den „traditionellen“ Journalisten zu arbeiten. Heißt „Next Media“: http://nextmedia-haw.de/
Danke für den Hinweis.
Du triffst genau den Punkt, Lorenz.
Ich las Deinen Post mit wachsender Begeisterung, denn ich teile Deine Beobachtung, dass die alten Selbst- und Berufsbilder den Blick auf die wirklich notwendigen Qualifikationen verstellen. Und dass man sich auch in der Ausbildung von den Kästchen und Schubladen der Formate und Medienkanäle lösen muss.
Und ein bisschen habe ich mich auch gefreut: Denn Du beschreibst eigentlich genau das Profil des Studienganges, den wir, die Akademie für Publizistik, zusammen mit der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg im Herbst an den Start bringen werden. „Visuelle Publizistik“ heißt das Angebot, ist ein berufsbegleitender Master und verbindet datenjournalistische Skills mit Visualisierungsmethoden, Online-Konzeption mit Marktanalysen und Businessmodellen. Die Seite http://visuellepublizistik.de/ ist im Moment noch under construction, aber ab Mitte Mai gibt’s da alle wesentlichen Informationen.
Kai
Kai, Danke für deinen Kommentar. Bin gespannt, wie der Studiengang sich ausgestalten wird.