Aus Datenjournalismus sollte Journalismus über Daten werden

Als vor sechs, sieben Jahren dieses neue Genre Datenjournalismus entstand, war ein Enthusiasmus zu spüren. Zumindest habe ich das so empfunden. Endlich ein Genre, das die vielfältigen Möglichkeiten des Netzes nutzt. Eines, das die Linearität der bestehenden Gattungen durchbricht. Eines, das die adäquate Antwort auf die fortschreitende Digitalisierung mit ihren immer größeren Datenmengen ist.

Noch länger, fast zehn Jahre ist es her, dass Adrian Holovaty einen Text schrieb, der zurecht viele inspirierte. Allerdings muss man 2015 feststellen: Seinen Ideen und Rat ist kaum wer gefolgt. Die W-Fragen, die Nachrichten permanent beantworten, werden von keinem Medium systematisch gesammelt, um sie dann auszuwerten und wieder journalistisch zu verwerten. Wenn Daten im Journalismus heute wirklich eine Rolle spielen, sind es es Userdaten, die jeden Klick, jede Regung der Maus oder auf dem Touchscreen registrieren.

Das Missverständnis

Meine Hoffnung, dass Datenjournalismus mit seinen neuen Perspektiven mehr Gehalt, neue Themen und mehr Tiefe in die Berichterstattung bringt, ist nur punktuell erfüllt worden. Es scheint: Je mehr sich zahlreiche Medienhäuser gegenseitig krampfhaft versichern, Qualitätsjournalismus zu betreiben, um so weniger Qualität wird wirklich geliefert. So ist es bezeichnend, was dieses Jahr im Statement der Nominierungskommission des Grimme Online Awards zu lesen war:

“Wie schon im letzten Jahr waren wir überrascht über einen Mangel an Aktualität: Die meisten großen und relevanten politischen Reizthemen (Überwachung/Bürgerrechte, Freihandel/TTIP, zunehmende Arm/Reich-Schere…) fanden auch diesmal so gut wie gar nicht statt. Das empfinden wir als etwas beunruhigend. Vielleicht sollten die Anbieter nach Präsentation und Recherche nun einen weiteren Schritt in der journalistischen Wertschöpfung zurückgehen und sich noch einmal gründlicher mit der Themenfindung beschäftigen.”

Präsentation und Recherche allein machen keinen Journalismus. Sicher: Die Einreichungen zum Grimme Online Award sind nicht gleich eine empirische Studie über das, was im deutschsprachigen Onlinejournalismus so vor sich ging. Aber der Auswahlprozess ist zumindest eine solide Erhebung und ein verlässlicher Gradmesser. Das eben genannte Statement deckt sich jedenfalls mit meiner Wahrnehmung: Dort, wo Journalismus, wo Datenjournalismus dringend benötigt würde, findet er nicht statt.
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