Irritation. Das beschreibt wohl am besten, was ich nach zwei Tagen Nutzung des neuen Internetauftritts der Süddeutschen Zeitung empfinde. Betrachtet habe ich mir ihn auf dem Desktop und Smartphone inklusive des neuen Angebots SZplus. Mich irritiert die Inkonsistenz. Zwei Jahre, so wird stolz in einem Video berichtet, wurde an dem jetzt vorliegenden Produkt gewerkelt (seit ich dieses Bild gesehen habe, muss ich immer lachen, wenn Leute sich vor einen weißen Hintergrund in ein Studio setzen und dazu säuselnde Fahrstuhlmusik läuft).
Was stört mich:
Ja, es gibt jetzt ein zentrales Dach für alle drei Bereiche der Süddeutschen: Online, die Zeitung und das Magazin. Aber alle drei kommen im Desktop-Browser mit einer unterschiedlichen Bedienstruktur daher und sind komplett voneinander getrennt. Wenn das jetzt alles eins ist, warum sind die Inhalte dann weiter auf drei verschiedene Gefäße verteilt?
Im mobilen Browser (auf dem Smartphone) wird mir die Zeitung und das Magazin gar nicht angeboten – ich muss mir eine App installieren bzw. zwei. Es gibt die App, die den Inhalt der Website wiedergibt (und etwas mehr Funktionalität bietet, etwa eine Merkliste). Und dann eben eine für die Zeitung inklusive Magazin. Von dem gemeinsamen Dach bleibt mobil nicht viel übrig.
Am Desktop kann ich nun die Ausgaben der Zeitungen in einer Art Html-ePaper lesen; es gibt ein Archiv der jeweiligen Ausgaben. Für das SZ-Magazin habe ich ein solches nicht finden können. Und es gibt dort nicht einmal eine Suchfunktion, auch nicht bei dem Zeitungsteil. Wie kann es sein, dass dieser elementare Vorteil gegenüber Print nicht angeboten wird? (Vielleicht bin ich auch nur zu blind, um die Funktion zu entdecken?!) [Gerade gesehen: Im Magazin gibt es eine Suche ganz unten im Footer].
Ich kann nicht mal über alle drei Bereiche in einer gemeinsamen Suche suchen. Auch kann ich mir am Desktop keine Beiträge aus allen drei Bereichen merken (in der mobilen App gibt es die Funktion etwas versteckt), um sie dann später unterwegs bequem zu lesen. Bleibt weiter nur Pocket, Instapaper & Co.
Nun, ich habe ein zwei Wochen kostenloses SZplus-Abo und musste kein Geld ausgeben. Aber warum muss ich nach dem Einloggen immer noch Werbung sehen? Wenn ich pro Monat 30 Euro (die ersten zwei für 20 Euro) für das digitale Angebot ausgebe, will ich von diesem visuellen Graus schlicht befreit sein. Im Jahr 2015 erwarte ich das bei solch einer recht stolzen Summe: Werbefinanziert oder per Abo.
Es scheint, dass auf den Desktop letztlich Varianten der Tablet-App für die Zeitung und das Magazin als Html5-Webapp realisiert wurden. Das Geld floss wohl vor allem in die Einrichtung des Paywall-Regimes. Es sind eher kleine Änderungen an dem ursprünglichen Webauftritt zu entdecken, aber das ist mehr Renovierung als Sanierung. Und auch hier wird Potential verschenkt: Ich kriege jetzt als Leser zwar Einblick, wie viele Leute den Artikel gerade lesen – links neben der Überschrift (man muss wissen: so manche Chefredakteure schauen fetischhaft auf solche Zahlen in Echtzeit-Tools wie Chartbeat). Aber ich erhalte z.B. nicht die Möglichkeit, dies für eine Sortierung zu nutzen: Zeige mir die derzeit 10 meistgelesenen Artikel. [Bekam Hinweis: Es gibt diese Funktion: Wenn man rechts weiter unten in der Seitenleiste auf „x Leser sind aktuell auf SZ.de“ klickt, erhält man die entsprechende Ansicht)
Mein Fazit: Es hat offenbar früh eine technisch-strategische Entscheidung gegeben, nicht alle drei Bereiche in ein gemeinsames CMS zu überführen, das im Frontend mit responsiven Design die Apps überflüssig macht. Vielleicht ist es im SZ-Hochhaus doch nicht so weit her mit der Harmonie zwischen Hoddie-Journalismus und Print-Bedenkenträgertum. Auch dürfte die Marketing- und Verkaufsabteilung mitgemischt haben. Am Ende sehen wir nun ein Produkt, das durch die Interessen der verschiedenen Abteilungen zu einem meiner Meinung nach eher schlechten Kompromiss geronnen ist. So hat die Süddeutsche verpasst, ein zeitgemäßes oder gar langfristig zukunftsfähiges Konzept vorzulegen. Ob für SZplus in dem jetzigen Zustand wirklich viele Leute bereit sind, Geld zu bezahlen, bezweifle ich. But maybe it’s just me.
Ich teile Ihre Ansicht über die unsinnige Dreiteilung. Aber wir sind hier in Deutschland, das heisst wir sind technologisch im Hintertreffen. Weder unsere Eliten noch unsere Medienhäuser verstehen die Zeichen der Zeit. In den USA zeigt nicht nur der Boston Globe seit Jahren, dass es konzeptionell auch anders geht.
Aber für einen solchen modernen Ansatz benötigt man auch Zeit und die richtige Techik. Ich habe in meinem Blog das HTML der neuen Süddeutschen seziert. Kurzzusammenfassung: in der Schule würde ich für eine 4+ plädieren.
Interessant sind auch die Antworten eines am Relaunch Beteilgten in meinen Kommentaren. Es besteht kein Problembewußtsein. Ich denke auch, dass der Relaunch im Wesentlichen wegen der Paywall gemacht wurde. Dass dafür zwei Jahre benötigt wurden und alles andere sträflich vernachlässigt wird und das Ergebnis so unausgegoren ist, ist schon sehr traurig. Denn inhaltlich mag dich die Süddeutsche sehr. Und auch optisch ist sie mir die Angenehmste der Qualitätszeitungen. Jetzt müssen die Qualitätszeitungen nur auch endlich mal online Qualität zeigen. Bin gespannt, wer der Erste ist. „Die ZEIT“ zeigt, wo es lang geht.
Danke für den Kommentar; ja, bin auch gespannt, was Zeit Online und Spiegel Online vorlegen werden. Leider scheint sich ja außer der taz hierzulande niemand das Beta-Konzept, wie es etwa der Guardian macht, zu trauen.
Besagter Beteiligter hat auf deinen Post u.a. so geantwortet:
[Zitat Anfang]
Und wir müssen zugeben: sie haben uns auf einige Verbesserungen hingewiesen, welche wir auch beherzigen werden. Das gilt vor allem für die Liste der banalen Fehler: ja, das können wir besser!
[Zitat Ende]
Es besteht also Problembewusstsein. Bitte fair bleiben.