Unlängst forderte Mathias Müller von Blumencron in der FAZ: „Schafft den Online-journalismus ab“. Die unselige Debatte Print-vs-Online sei ein für allemal zu beenden. Vielmehr, so der Ex-Chefredakteur von Spiegel Online, solle nur noch darüber debattiert werden was guter Journalismus sei.
Was ist guter Journalismus für Blumencron? “Die exzellente Recherche, der starke Artikel, das ganz besondere Angebot”, dem es gelingt sich in der “neuen Meinungswelt” Gehör zu verschaffen. Mehr sagt er dazu in seinem 18.000 Zeichen-Artikel nicht.
Der ist deshalb bemerkenswert, weil er ein Testat* für die Ratlosigkeit der Branche abgibt. Blumencron, 54, ist seit gut einem Jahr Chef der Online-FAZ. Er dürfte exemplarisch für so manche in den Führungsriegen deutscher Medienhäuser stehen. Bei ihnen gilt das Internet weiterhin als unheimlicher Ort, in dem sich vollends der „Irrsinn Bahn” brechen könnte. Es herrsche dort ein “kakophonischer Informationslärm”.
Social Media, das “Mitmachnetz”, fungiere als “Meinungsverstärker” und brächte “Meinungsblasen” hervor. Diese “selbstkonfigurierten Deutungsströme” schmälerten die “Deutungshoheit der Redaktionen” und führten zu Radikalisierung:
“Die Stimmen der Vernunft haben es schwerer, sich in dem ungeheuren Lärm des Online-Kosmos Gehör zu verschaffen.”
So weit, so gut. Diese skeptische Sicht auf das Netz ist durchaus weit verbreitet. Was sollte also getan werden, wie sich wieder Gehör verschafft werden? “Etablierte Redaktionen”, so Blumencron, “müssen ein Feuer anzünden, an dem keiner vorbeikommt.” Das heißt:
“Exzellenten Stoff hervorbringen, ihn in überwältigender Opulenz aufarbeiten, geschickt über alle sozialen und nicht-sozialen Kanäle vertreiben und obendrein einen nicht gekannten Austausch mit dem Leser pflegen.”
Wer soll das bezahlen? Hoffnung gäbe es durch neue Werbeeinnahmen im mobilen Bereich und die steigende Zahl bezahlter digitaler Zeitungsausgaben, meint Blumencrom; auch hochpreisige Spezialangebote würden Erfolg versprechen. Von einer Paywall dagegen scheint er wenig zu halten, die er verklausuliert als eine von “Wunschdenken getragene Bepreisungen dynamischer Websites” bezeichnet.
Diese Äußerung von Blumencron kann auch als Ansage in Richtung FAZ-Herausgeber gelesen werden. Wie auch dieser Satz:
“Noch haben die Etablierten ihren Ruf; sie sind Marken, die selbst im Netz noch wie Donnerhall wirken – wenn sie denn das Netz wirklich ernstnehmen.”
Intern scheint in Frankfurt die Debatte Print-vs-Online offenbar noch längst nicht beendet zu sein.
Nein, wirkliche Rezepte hat Blumencron nicht anzubieten. Einerseits meint er, dass Redaktionen Feuer anzünden müssten, um zu bestehen. Gleichzeitig verweist er auf den Innovation Report der NYT. Das US-Mediums brennt wie kein anderes ein Feuer im Netz ab. Aber es gibt selber zu, so zitiert Blumencron die Analyse, bislang nicht den “Code der digitalen Ära“ geknackt zu haben. Warum sollte man also der NYT nacheifern? Weil man selbst keine bessere Idee hat? Und spielt man wirklich in der gleichen Liga wie die NYT oder der Guardian?
Abgesehen davon, womit soll das Feuer überhaupt angezündet werden?
„Journalismus braucht in den nächsten Jahren das, was gute Redaktionen immer getragen hat: jede Menge Idealismus.“
Eingangs seines Textes hatte Blumencron über die Anfangszeit des Journalismus im Netz geschrieben, der in einer Zeit des „Online-Idealismus“ geschehen sei. Doch:
„Der Idealismus der frühen Jahre, der im Netz ein großes neues Transparenzmedium sah und im Online-Journalismus seinen Motor, ist einer Ernüchterung gewichen.“
Warum soll also ausgerechnet jetzt der Idealismus wieder aufflammen, den Blumencron als Zündstoff für das Feuer sieht, das Redaktionen anzünden müssten? Wie soll die Ernüchterung überwunden werden? Geht es wirklich um das Ideal des „guten Journalismus“ oder nicht vielmehr um ein einstmals ideales Geschäftsmodell?
Eins ist jedenfalls klar: Jetzt müssen schon Appelle an die Selbstaufgabe für ein „greater good“ als Antwort auf die Krise des Journalismus und seiner Verlagsmodelle herhalten. Es sieht wahrlich schlecht aus.
*In einer früheren Version war statt Testat von „Testament“ die Rede. Das war der falsche Begriff. LM
„Geht es wirklich um das Ideal des “guten Journalismus” oder nicht vielmehr um ein einstmals ideales Geschäftsmodell?“
es geht um das ideale selbstbild einer sich selbst als priester und schiedsrichterkaste der aufklärung wie der demokratie an sich sehenden zunft die selbstverständlich erwartet das ihr diese hehre bürde durch großzügige bezahlung versüßt wird. diese ist in ihren augen eine bringschuld der gesellschaft.
die idee das nicht nur das geschäftsmodell sondern die institution zeitung an sich durch das netz und den wegfall der limitierenden faktoren eines druckerzeugnisses obsolet geworden sein könnte ist ihnen ketzerei.
aber warum sollte ich mich aus einer quelle über lokal, außen, wirtschaft, garten, kunst, sport informieren wenn die begründung -weil man sonst zehn zeitungen austragen müßte und das zu aufwendig wäre- wegfällt.