Ratgeber: Datenjournalismus bei Lokalzeitungen

Für die Zeitschrift „journalist“ des Deutschen Journalisten Verbandes DJV hatte ich in der Ausgabe 06/12 einen Ratgeber zum Thema Datenjournalismus bei Lokalzeitungen geschrieben. Der Text erschien heute online:

Alles auf eine Karte

Haushaltszahlen, Kriminalitätsstatistiken, Sportergebnisse, Wetterberichte, Verkehrsaufkommen: Gerade lokale und regionale Medien können von den enormen Datenmengen, die es heute gibt, profitieren. Datenjournalist Lorenz Matzat hat für den journalist aufgeschrieben, wie aus einer Lokalzeitungsredaktion ein Datenjournalismus-Labor werden kann.

Rick Perry hatte Großes vor. Der Gouverneur von Texas wollte neuer US-Präsident werden. Doch im Januar gab er auf. Am mangelnden Einsatz im Bundesstaat Iowa kann das nicht gelegen haben. Mehr als 100 Wahlkampfauftritte absolvierte Perry landauf landab. Die Onlinezeitung Texas Tribune dokumentierte seine Kampagne mit einem einfachen Mittel. Auf einer interaktiven Karte markierte sie sämtliche Auftritte und Termine des Kandidaten. Jede Markierung verwies auf weiterführende Artikel. Die Resonanz war groß. Warum sollte nicht auch mal eine Zeitung in Nordrhein-Westfalen auf die Idee kommen, etwa den Wahlkampf des FDP-Spitzenkandidaten Christian Lindner auf diese Weise im Web zu begleiten?

Gerade für Lokalzeitungen ist es lohnenswert, sich mit Datenjournalismus zu beschäftigen. Wichtigste Voraussetzung ist schlicht ein Bewusstsein für die Möglichkeiten, die in jenen Daten stecken, die ohnehin täglich in den Redaktionen auflaufen. Dass Leser sich dafür interessieren, zeigen Vorreiter wie der britische Guardian und die Texas Tribune. In Reading the Riots widmete sich etwa der Guardian ausführlich den sozio-demografischen Hintergründen, die 2011 zu den Krawallen in England beigetragen haben dürften. Heraus kam ein Textdossier, das mit Infografiken und interaktiven Datenvisualisierungen angereichert war.

Der Data Desk der LA Times zeigt, wie sich die unterschiedlichen Bereiche lokal aufgreifen lassen. Dabei ist Datenjournalismus noch ein junges Genre. Es lässt sich darüber streiten, ob es nun etwas eigenständig Neues ist oder nur ein neuer Begriff für die althergebrachte computergestützte Recherche. In Europa machte der sogenannte data driven journalism erstmals von sich reden, als der Guardian Anfang 2009 sein Datablog gründete.

Zwar dürften die meisten lokalen Medienhäuser anders als große Verlage nicht in der Lage sein, eigene Datenredaktionen mit Rechercheuren, Programmierern und Designern aufzubauen. Doch die lokale Berichterstattung hat einen großen Vorteil: Sie kann sich auf ein klar umrissenes geografisches Gebiet konzentrieren. Auf Karten sichtbar gemacht, können Geodaten so auf einen Blick lokale Informationen abbilden.

Versucht man, sich dem Datenjournalismus als Genre zu nähern, lassen sich drei Ebenen unterscheiden: erstens die Verlagsebene, zweitens der Workflow in der Redaktion und drittens die Arbeitsweise der einzelnen Journalisten. Der Reihe nach …

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2 Gedanken zu „Ratgeber: Datenjournalismus bei Lokalzeitungen“

  1. Hier sollte die Alramglocke schellen. Ich werde mich nun unbeliebt machen, aber schon im Vorspann wird der Kern eines riesigen DDJ-Problems klar benannt. Ich greife ein Beispiel heraus: die erwähnte polizeiliche „Kriminalitätsstatistik“. Wer sich einmal wirklich (!) kritisch (!) mit dem Zustandekommen dieser örtlichen PKS und überörlichen Lagebilder befasst hat weiß, dass die Zahlen und daraus offiziell abgeleiteten Aussagen allerhöchstens einen Hauch von mutmaßlicher Tendenz im Konjunktiv darstellen können, in der Regel aber überhaupt keine verlässlichen Rückschlüsse auf die Wirklichkeit zulassen und schlechterdings häufig bewusst manipulieren sollen.
    Etwa hier: Wenn in einem Jahr besonders wenige Diebstähle in der Statistik auftauchen, kann das bedeuten, dass die repressiven und präventiven Maßnahmen der Polizei Wirkung gezeigt haben, wie uns der Polizeipräsident oder Minister gern glauben machen will. Es kann aber auch heißen, dass – obwohl es eine Zunahme einschlägiger Tatereignisse gab – einfach weniger davon angezeigt wurden. Oder dass nur solche Taten in die Statistik einflossen, die zu irgend einem politisch opportunen Stichtag als wahlweise anhängig, abgeschlossen, unangeklagt, rot markiert oder sonstwie banal eingeschränkt in den Systemen der Polizei verzeichnet waren. Vielleicht wurden im Vorjahr auch wirklich und tatsächlich alle angezeigten Diebstähle unter dem Punkt „Eigentumskriminalität“ in der Statistik erfasst, während in diesem Jahr z.B. die „Diebstähle an und aus Kfz“ nicht mehr hinzugezählt werden oder Wohnungseinbruchsdiebstahl nun als eigenständiger Punkt geführt wird, weil sich mehrere Punkte mit kleine Zahlen zur Tathäufigkeit in der Öffentlichkeit besser verkaufen lassen als eine große. Und selbst, wenn nichts manipuliert wurde oder auf völlig unterschiedlichen und unvergleichbaren Bemessungsgrundlagen basiert, sagen die Zahlen i.d.R. überhaupt nichts über Hintergründe aus: Die Anzahl statistisch erfasster Gewaltdelickte im familiären Umfeld nimmt z.B. immer dann besonders zu, wenn die Polizei den Verfolgungsdruck erhöht und die Öffentlichkeit durch aktuelle Missbrauchsfälle für entsprechende Hinweise an die Behörden sensibilisiert sind. All das bedeutet, dass das Heranziehen von Zahlen etwa aus Kriminalitätsstatistiken für ein datenjournalistisches Stück höchst fragwürdig sein kann. Zuverlässige und seriöse Ergebnisse sind hier in vielen Fällen einfach von vorn herein nicht zu erwarten, wenn man sich das Ausgangsmaterial einmal kritisch betrachtet.
    Insofern kann vom Zusammenrühren von Zahlen, deren Zustandekommen und Hintergründe nicht bis ins Detail nachvollziehbar und überprüfbar sind, m.E. schlichtweg nur abgeraten werden. Solche Statistiken wie die PKS sollten vielmehr zum genauen Hinterfragen anregen, einzelne Zahlen höchstens Ausgangspunkt einzelner, nachzurecherchierender Geschichten sein.
    Grundsätzlich bin ich aber ein Befürworter glaubwürdigen Datenjournalismusses. Er muss aber zwingend kritisch und auf der Hut sein.

  2. Hier sollte die Alramglocke schellen. Ich werde mich nun unbeliebt machen, aber schon im Vorspann wird der Kern eines riesigen DDJ-Problems klar benannt. Ich greife ein Beispiel heraus: die erwähnte polizeiliche “Kriminalitätsstatistik”. Wer sich einmal wirklich (!) kritisch (!) mit dem Zustandekommen dieser örtlichen PKS und überörlichen Lagebilder befasst hat weiß, dass die Zahlen und daraus offiziell abgeleiteten Aussagen allerhöchstens einen Hauch von mutmaßlicher Tendenz im Konjunktiv darstellen können, in der Regel aber überhaupt keine verlässlichen Rückschlüsse auf die Wirklichkeit zulassen, schlechterdings häufig bewusst manipulieren sollen und oft genug völlig unbrauchbar sind.

    Etwa hier: Wenn in einem Jahr besonders wenige Diebstähle in der Statistik auftauchen, kann das bedeuten, dass die repressiven und präventiven Maßnahmen der Polizei Wirkung gezeigt haben, wie uns der Polizeipräsident oder Minister gern glauben machen will. Es kann aber auch heißen, dass – obwohl es eine Zunahme einschlägiger Tatereignisse gab – einfach weniger davon angezeigt wurden. Oder dass nur solche Taten in die Statistik einflossen, die zu irgend einem politisch opportunen Stichtag als wahlweise anhängig, abgeschlossen, unangeklagt, rot markiert oder sonstwie banal eingeschränkt in den Systemen der Polizei verzeichnet waren. Vielleicht wurden im Vorjahr auch wirklich und tatsächlich alle angezeigten Diebstähle unter dem Punkt “Eigentumskriminalität” in der Statistik erfasst, während in diesem Jahr z.B. die “Diebstähle an und aus Kfz” nicht mehr hinzugezählt werden oder „Wohnungseinbruchsdiebstahl“ nun als eigenständiger Punkt geführt wird, weil sich mehrere Punkte mit kleinen Zahlen zur Tathäufigkeit in der Öffentlichkeit besser verkaufen lassen als eine große.

    Und selbst, wenn nichts manipuliert wurde oder auf völlig unterschiedlichen und unvergleichbaren Bemessungsgrundlagen basiert, sagen die Zahlen i.d.R. überhaupt nichts über Hintergründe aus: Die Anzahl statistisch erfasster Gewaltdelikte im familiären Umfeld nimmt z.B. immer dann besonders zu, wenn die Polizei den Verfolgungsdruck erhöht und die Öffentlichkeit durch aktuelle Missbrauchsfälle für entsprechende Hinweise an die Behörden sensibilisiert sind. All das bedeutet, dass das Heranziehen von Zahlen etwa aus Kriminalitätsstatistiken für ein datenjournalistisches Stück höchst fragwürdig sein kann. Zuverlässige und seriöse Ergebnisse sind hier in vielen Fällen einfach von vorn herein nicht zu erwarten, wenn man sich das Ausgangsmaterial einmal kritisch betrachtet.

    Insofern kann vom Zusammenrühren von Zahlen, deren Zustandekommen und Hintergründe nicht bis ins Detail nachvollziehbar und überprüfbar sind, m.E. schlichtweg nur abgeraten werden. Solche Statistiken wie die PKS sollten vielmehr zum genauen Hinterfragen anregen, einzelne Zahlen höchstens Ausgangspunkt einzelner, nachzurecherchierender Geschichten sein.

    Grundsätzlich bin ich aber ein Befürworter glaubwürdigen Datenjournalismusses. Er muss aber zwingend kritisch und auf der Hut sein.

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