Olympia versus Datenjournalismus

Olympia bietet Anlass, sich mal wieder Gedanken über das Wesen des Datenjournalismus zu machen. Schauen wir uns die Herangehensweien zweier Onlineauftritte von Zeitungen an: Die Süddeutsche bezeichnet einen Beitrag über das 100 Meter Rennen der Frauen als Datenjournalismus. Einige Tage später bereitete sie das 100-Meter Finale der Männer in gleicher Weise auf.

Die New York Times (NYT) veröffentlichte jeweils gleich aufgebaute Stücke über 100 Meter Freistil, den Weitsprung und ebenfalls den 100-Meter Lauf – immer nur bezogen auf die Disziplinen der Männer.

Warum ist in meinen Augen das eine kein Datenjournalismus  – das andere aber schon?

Die Werke auf süddeutsche.de würde ich als Infografiken bezeichnen. De facto handelt es sich dabei um Klickstrecken, die zwar nicht mehrere Bilder enthalten, sondern erlauben, eine Grafik hin zu vorgegebenen Abschnitten seitlich zu scrollen. Zudem lassen sich noch einige Informationen zum jeweiligen Läufer einblenden. Das Ganze würde ähnlich auch in Print funktionieren. Was allerdings überhaupt kein K.O.-Kriterium für Datenjournalismus sein muss.

Entscheidend ist hier vielmehr der Umfang des Datensatzes. Der ist diesem Fall recht klein: Er besteht aus acht Laufspuren, sprich Reihen einer Tabelle und enthält inklusive des Startpunktes sieben Spalten, die jeweils die Positionen zu einer bestimmten Wegstrecke während des Laufs enthalten. Insgesamt also 56 Datenpunkte. Die wären selbst in Tabellenform noch gut zu überblicken oder als Liniendiagramm darstellbar. Der Erkenntnisgewinn bliebe so oder so meiner Meinung nach gering. Weil letztlich nichts anderes erzählt werden kann, als was bekannt ist: XY hat gewonnen, weil er schneller war und die anderen waren in einer bestimmten Reihenfolge langsamer.

Die Dynamik eines Marathonlaufs zu visualisieren, die Strategien der Läufer aufzuzeigen wäre spannender: In zwei Stunden passiert wesentlich mehr als in 10 Sekunden – der Datensatz wäre allerdings ungleich größer und würde eine Herausforderung für die Visualisierung bedeuten: Viel mehr Läufer mal viel mehr Messpunkte.

Doch braucht es überhaupt Infografiken, wenn es um die reine Beschreibung von Sportergebnissen geht, die auf Zeiten, Entfernungen oder Punkten basieren? Meist sind das Fernseh- oder Videobild mittels Zeitlupen und verschiedener Perspektiven sowie eines kenntnisreichen Moderators beim reinen Beschreiben des Vorgangs kaum zu schlagen. Zudem wird das Live-Bild bei manchen Sportarten mittlerweile mit der virtuellen Position des Weltrekordhalters angereichert (etwa beim Schwimmen) – ein Hauch von Echtzeit-Datenjournalismus.

Das entscheidende Kriterium dafür, warum die Grafiken der NYT als Datenjournalismus gelten können, liegt aber darin, dass dort verschiedene Datensätze miteinander verschränkt werden. Und somit ein informationeller Mehrwert herausgearbeitet wird, der jenseits des Offensichtlichen liegt. In diesem Fall geht es um einen historischen Vergleich. Der wird zum einem in anschaulichen Videos gezeigt, in der animierte Grafiken Verwendungen finden, in der alle Olympiasieger der modernen Olympiageschichte der jeweiligen Disziplin gegeneinander antreten.

Klar ersichtlich ist hier übrigens, dass sich sowohl Fernsehen als auch NYT von Computerspielen inspirieren lassen. Dort ist es beispielsweise bei Rennspielen seit einigen Jahren üblich, die eigene Bestzeit oder die Fahrt des Rekordhalters im Rennen als Vergleichsgröße angezeigt zu bekommen (z.B. als durchsichtige Fahrzeuge, „Ghosts“ ).

Bei der NYT  kommen online u.a. aber auch schlichte Diagramme zum Einsatz.

Die erlauben einmal, zu sehen, wie sich die Leistungen im Laufe der Zeit erhöht haben. Und erzählen damit gleich einen Teil der Geschichte des Leistungssports. Ebenfalls ermöglicht die oben gezeigte Grafik zum Weitsprung, sich durch die als Maßstab eingearbeitete Basketballfeldmarkierung besser eine Vorstellung von der Weite der Sprünge machen zu können.

Sprich, als Kritierien für Datenjournalismus sollten in Betracht gezogen werden:

  • der Umfang des verwendeten Datensatzes
  • seine Komplexität oder Vielschichtigkeit

Letztlich entscheidend ist dann die Art und Weise, wie die Datengeschichte erzählt wird. Denn es muss  gelingen, die Komplexität aussagekräftig herunterzubrechen oder zumindest zugänglich zu machen. Bei großen Zahlenmengen stößt der reine Text da schnell an seine Grenzen und Visualisierungen – welcher Art auch immer – können ihre Vorteile entfalten.

Bleibt noch festzustellen: Deutsche Medien zeigen sich rund um Olympia mit Zahlen und Statistiken nicht sehr experimentierfreudig. Ein Jammer, denn das Sportereigniss strotzt nur so von Daten und Messungen, die online mittels der Möglichkeit von Datenbanken dynamisch zum Singen gebracht werden könnten.

Bleibt nur das WAZ-Rechercheteam, das sich um Zahlen zu den Themen Medaillenzielvorgaben und Sportförderungen bemüht – Zahlenmaterial, auf dessen Grundlage dann Datenjournalismus geschehen könnte. Das Stern-Investigativteam widmete sich bereits schon einmal den bisher bekannten Zahlen.

Wer aber mehr Kontext und Analyse jenseits des reinen Auflisten des Medaillenspiegels und von Ergebnissen sucht, wird etwa beim Olympia-Special des Guardian Datablogs fündig. Dort werden die Medaillenzahlen mit Bruttoinlandsprodukt und Einwohnerzahlen der einzelnen Länder verknüpft usw. usf.

Ergänzung: Einen alternativen Medaillenspiegel bietet auch das ZDF in seinem Medaillenmodul an.

3 Gedanken zu „Olympia versus Datenjournalismus“

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