„Leute schätzen Journalismus nicht so, wie Journalisten es tun.“ Schreibt Stijn Debrouwere in einem unlängst erschienen Essay in seinem Blog. Debrouwere arbeitet als Entwickler bei einem US-Medienunternehmen. Sitzt also im Auge des Sturms.
Er bringt das Dilemma auf den Punkt: Die Debatte über die Zukunft des Journalismus führen meist Journalisten. Und die können aus ihrer Binnensicht heraus nach wie vor nicht fassen, was Debrouwere schreibt: „Ich denke, Journalismus wird ersetzt“.
Das läge nicht daran, dass guter Journalismus – investigative Stücke, Reportagen usw. – nicht wertgeschätzt würden. Doch gäbe es eine riesige Palette an Anwendungen im Netz, die schlicht viele Aufgabe des Journalismus übernommen hätten, nicht zuletzt weil sie besser Nischen bedienen würden. Sie böten die gleiche Funktionalität, nur in einer anderen Verpackung. Und die, so meint Debrouwere, wäre meistens wesentlich attraktiver als die herkömmliche journalistische Aufbereitung.
Klar kann man die Nase darüber rümpfen, dass Leute sich auf automatisierte Tipps bei Amazon, was sie noch lesen könnten, verlassen. Und nicht auf das Feuilleton. Aber wer schaut schon noch bei Perlentaucher oder ähnlichem nach, wenn er bei Amazon nach Büchern stöbert? Verlässt man sich nicht eher auf das meist amateurhafte User-Feedback bei dem jeweiligen Produktprofil auf den Seiten des Onlinehandelshauses?
Debrouwere, der einen Master-Abschluss in Philosophie hält, bringt diverse plastische Beispiele in seinem Text dafür, wie Onlineangebote auf verschiedene Weise an Bedeutung verlieren: Etwa: „Mein Vater hat nie Musikbesprechungen gelesen, nutzt aber Spotify, um neue Musik kennenzulernen. Mein Bruder abonniert nicht das DRUM! Magazin, aber er hat jedes Trommel-Tutorium gesehen, das YouTube im Angebot hat.“
Personen über 40 Jahre würden nach wie vor klassische journalistische Produkte als erste Anlaufstelle für Informationen nutzten. Doch:
„Je jünger die Person ist, die du fragst, um so unwahrscheinlicher ist ist es, dass es eine Verbindung gibt zwischen dem Verlangen zu wissen, was passiert und dem Griff nach einer Zeitung oder einer Nachrichtenwebsite. Sie nutzen Pinterest, um zu erfahren, was schick ist und setzten auf Facebook, ob etwas Unterhaltsames am Wochenende passiert. Sie nutzen Facebook aber auch, um zu erfahren, ob es etwas gibt, über das man sich ärgern muss und gegen das man protestieren muss“.
Das ist der zentrale Grund dafür, warum Facebook solch wahnsinnige Summen beim Börsengang erzielen wird. Es ist ein Informationsökosystem, das durch seine Dezentralität grundlegend anders funktioniert als das klassische Nachrichtenwesen. Die Occupy-Bewegung, aber auch die erstaunlich großen Teilnehmerzahlen bei den Protesten gegen das Handelsabkommen ACTA Anfang diesen Jahres gehen auf diese Macht von Facebook zurück.
Ein Ökosystem in das die klassischen Verlage rein wollen. Aber offenbar bislang scheitern. Gerade war zu lesen: „Facebook Social Readers Are All Collapsing“ Diese „social reader“-Angebote von Zeitungen (Washington Post, Guardian usw.) zwingen die Nutzer dazu, ihr Leseverhalten ihren „Freunden“ mitzuteilen – ob sie es wollen oder nicht. Und werden nun offenbar abgestraft, weil sie zu „share-y“ sind; weil sie eine Kultur bei Facebook etablieren wollten, die dort nicht erwünscht ist.
Dass das Internet die Journalismusbranche erschüttert, ist ein alter Hut. Der Text von Debrouwere ist dennoch bemerkenswert, weil er herausarbeitet, dass die Einschätzung vieler professionellen Journalisten, diese Online-Angebote seien doch kein echter Journalismus, den meisten Leuten herzlich egal ist. Sein Tipp: „Gestehe dir ein, dass du weniger wichtig bist, als du es gewohnt bist“.
Grade Facebook versagt bei mir und allen anderen, mit denen ich mich darüber unterhalten habe, spektakulär daran, neue Infos heranzuschaffen, die mich interessieren.
Debrouwere behauptet nicht, dass es eine „gute“ Entwicklung ist. Aber sie ist faktisch so. Und offenbar scheint für viele Facebook ein ausreichender Kanal zu sein.
Sagen wir bitte „Onlinemedien jeder Art“ statt „Facebook“. Ich kenne niemanden, der Facebook ernsthaft als Medienersatz nutzt, aber jede Menge Leute, die Twitter als Informationszuträger erfolgreich nutzen.
Ja, kann ich nur bestätigen. Ich selber nutze Twitter recht intensiv und bin immer wieder erstaunt, wie schnell sich die neuesten Informationen dort verbreiten. Das stellt in meinen Augen einen der wesentlichsten Vorteile dar. Gut, es kostet natürlich auch nichts. 😉
Ich lese @Torstens Antworten mal als Bestätigung für Debrouwere …