Was für eine Herausforderung: Knapp 400.000 Datensätze waren sinnvoll aufzubereiten. Vier bedeutende Medien – Spiegel, Guardian, New York Times und Al Jazeera – haben in der Nacht auf Samstag die Ergebnisse ihrer Heransgehensweise bei der Zähmung der Datenflut präsentiert. Ergänzend dazu bietet Wikileaks selber ein Recherchewerkzeug für die Irak Protokolle an; die Organisation verweist darüberhinaus noch auf eine Plattform für kolleborative Recherche. Im Folgenden eine Übersicht der Umsetzungen.
Spiegel Online ermöglicht den Einstieg in die Irak Protokolle über einen interaktiven „Atlas“. Per Schieberegler auf einer Zeitleise lassen sich auf einer Karte, deren Ausschnitt frei festlegbar ist, Todesopfer oder Ereignisse abbilden. Per Klick auf das jeweilige Symbol erscheint dann der entsprechende Datensatz. Gegenüber dem Ansatz von vor drei Monaten, als der Spiegel im Netz die Afghanistan Protokolle sehr herkömmlich präsentierte, ist das ein Fortschritt. Offensichtlich orientierte man sich an der Arbeit des Guardian von damals. Wünschenswert wäre es, die Zeitleiste auch einfach abspielen zu können, ohne klicken zu müssen.
Der britische Guardian hat im Kontrast zu den Afghanistan-Warlogs diesmal auf ein anderes Konzept gesetzt: Aus dem riesigen Datensatz wurde ein besonders ereignisreicher Tag ausgewählt und in einer interaktiven Karte mit Zeitleiste nacherzählt.
Zusätzlich gibt es eine ausführliche statistische Auswertung der Datensätze im „Datablog“ des Guardian; neben den herunterladbaren Tabellen wird auch noch eine eindrucksvolle große zoombare Karte mit den zehntausenden Todesopfern, die in den Protokollen (2004-2009) verzeichnet wurden, angeboten. Die roten Punkte führen per Klick zu dem jeweiligen Protokolleintrag.
Auffällig ist, dass sowohl New York Times als auch der Guardian auf eine interaktive Aufbereitung aller Datensätze verzichten und nur eine Auswahl präsentieren. Die beiden Medien gelten international als Vorreiter im „Datenjournalismus“ – der Berichterstattung über und mit großen Datensätzen. Offenbar entschieden sich die Redaktion angesichts der schieren Größe der Informationsmenge für die exemplarische Beleuchtung eines Tages. Von der Darbietung aller 390.000 Vorgänge sah man womöglich ab, weil daraus kaum ein Erkenntnisgewinn zu ziehen ist. Oder auch, weil einfach die Zeit für eine angemessene Auswertung nicht ausreichte.
So oder so, die NYT setzte wie der Guardian auf die Nacherzählung eines einzelnen Tages per interaktiver Karte – allerdings ohne Zeitleiste und beschränkt auf Bagdad. Ein Zugang zu den einzelnen Armee-Protokollen wird durch den Webauftritt der amerikanischen Zeitung nicht ermöglicht.
Neu dabei ist dieses Mal der Nachrichtensender Al Jazeera, der sein Angebot sowohl auf Arabisch als auch auf Englisch ausstrahlt. Zum einen bietet der Sender auf seiner Internetseite eine Übersichtskarte Iraks an, auf der eine Zeitleiste abläuft, die je nach Wahl Bombenanschläge, Tote an Checkspoints oder Morde abbildet. Zum anderen werden ausgewählte Protokolle präsentiert, aber auch Auswertungen der Datensätze per klassischer Diagramme. Unterstützt wurde die TV-Station dabei vom britischen Bureau for Investigative Journalism.
Ebenfalls neu ist, dass die Organisation Wikileaks diesmal selbst eine Rechercheumgebung – Diary Dig – für das Erschließen der hunderttausenden Datensätze anbietet. Die sieht nicht schön aus, ist aber sehr funktional. In der linken Seitenleiste der Anwendung lassen sich thematische Filter setzen und per Schieberegler Zahlenumfänge bestimmen (ganz nach unten scrollen).
Alternativ verweist Wikileaks auch auf die Plattform der französischen Datenjournalismusagentur OWNI. Die hatte bereits kurz nach Erscheinen der Afghanistan-Tagebücher Ende Juli eine Rechercheumgebung zur Verfügung gestellt. Dieses Engagment ist offenbar Wikileaks nicht entgangen und die Agentur kann nun gleich von Beginn an eine weiterentwickelte Umgebung ihres Crowdsourcing-Werkzeugs anbieten. So soll die Last der Recherche in den Irak-Protokolle auf viele Schultern verteilt werden. Jeder darf Dokumente klassifizieren und kommentieren – für die Mitarbeit werden Punkte vergeben. Auch wird eine Rangliste der von den Usern für interessant befundenen Protokolle geliefert.
Neben den genannten Medien waren auch der britische Channel 4, die französische Zeitung Le Monde und ein schwedischer Fernsehsender vorab von Wikileaks mit den Irak Protokollen bedacht worden. Letzteres Medium hat Julian Assange, der Kopf von Wikileaks, wohl sehr bewusst gewählt – er hat das skandinavische Land um eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis ersucht.
Zuerst erschienen im OpenData-Blog auf Zeit online am 24.10.2010.
Schöner Überblick über die Ansätze der mit den Daten bedachten Medien. Und danke für den Hinweis auf OWNI, sieht sehr spannend aus. Ich bin gespannt, ob es das jetzt schon war mit den Irak-Daten, oder ob da noch mehr herausgeholt wird.