Gibt es eine Open-Data-Bewegung?

In den letzten beiden Tagen kochte eine Debatte hoch, die erst über Twitter und dann über Blogs ausgetragen wurde. Auslöser war der Beitrag von Tom Slee mit dem Titel „Why the ,Open Data Movement‘ is a joke.“ Im ersten Teil des Textes kritisierte er, dass die kanadische Regierung sich in seinen Augen einerseits mit ihrer Mitgliedschaft in der internationalen „Open Government Partnership“ brüsten würde. Gleichzeitig sei die konservative Regierung in dem nordamerikanischen Land aber ein Heimlichtuer und würde Transparenzinitiativen abstellen. Slee bezweifelte dann, ob überhaupt von einer (politischen) Bewegung die Rede sein kann:

„Open Data Movement“ is a phrase dragged out by media-oriented personalities to cloak a private-sector initiative in the mantle of progressive politics. Along with other cyberculture terms („hacktivism“, „unconferences“, „hackathons“) the word „movement“ suggests a countercultural grass-roots initiative for social change, but there isn’t anything of the sort that I can see.

Er präzisierte das in einem zweiten Beitrag, den er in Reaktion auf die zum Teil harsche Kritik via Twitter auf seinen Beitrag verfasste. (UPDATE 09.04.12: Lee hat einen weiteren Text geschrieben: Open Data Movement Redux: Tribes and Contradictions.) Um seinen Punkt klarer zu machen, verwies er auf die konzeptionellen Unterschiede zwischen der Herangehensweise der US-Regierung und der britischen. Dafür zitiert Shee den Text des O’Reilly Autors Nat Torkington „Gov 2.0 as means not end„.

You can see how government-as-cost and government-as-investment thinking comes out in the difference in rhetoric between the Obama and Cameron administrations. Obama and his staff, coming from the investment mindset, are building a Gov 2.0 infrastructure that creates a space for economic opportunity, informed citizens, and wider involvement in decision making so the government better reflects the community’s will. Cameron and his staff, coming from a cost mindset, are building a Gov 2.0 infrastructure that suggests it will be more about turning government-provided services over to the private sector:

Sichtlich verärgert von ersten Artikel von Slee war Alex Howard. Seines Zeichens ebenfalls Autor beim Internetverleger O‘Reilly (Tim O’Reilly war im 1. Text von Slee vorgeworfen worden, mit dem Begriff Open Data vor allem auch Geschäfte machen zu wollen.) Wie hilfreich es ist, wenn Evgeny Mozorov sich in eine Debatte einschaltet, sei dahingestellt. Er ist bekannt für seine bissige Polemik und reizte den offensichtlich angefassten Howard (Mozorov verwies neben allem Rumgeholze aber auch immer wieder auf hilfreiche Texte rund um das Thema)  – eine Kostprobe:

 

Weil Twitter als Diskursmedium nur bedingt Sinn macht, fand dann die zweite Runde der Auseindersetzung in erfreulich konstruktiver Weise über Blogs statt. Auf den bereits oben erwähnten zweiten Blogpost von Tom Slee, reagierte Howard erst mit einem langen sachlichen Kommentar und schrieb dann selbst noch einen ausführlichen Text in seinem Blog Gov2.0: „No joke: Open data fuels transparency, civic utility and economic activity„. Richtig weist er dort darauf hin, dass vor drei Jahren von Open-Data-Portalen etc. nicht die Rede sein konnte:

… but it is indisputable that 3 years ago, a researchers would be hard-pressed to find a open government data platform nor downstream consumers.

Now there are dozens of such platforms at the national, state and city level and even more services that use that data. What matters more than their existence, however, is what goes onto them. In that respect, civil society and media must to be extremely careful about giving governments credit for just putting a “portal” online.

David Eaves, ein bekannter Open-Data-Advokat aus Kanada, äußerte sich ebenfalls  zu Slees Text. (Hier im Blog findet sich ein Interview mit Eaves von Ende 2010.)

Er stimmt Slee in manchen Teilen zu, kritisiert aber auch – wie ich finde berechtigt -, dass die Unterstellung seitens Slee, die Open-Data-Bewegung sei sehr von kommerziellen Interessen geprägt, falsch sei. Sehr hilfreich ist auch diese Anmerkung von Eaves:

Open Government and Open Data should not be used interchangeably. And this is an issue Open Government and Open Data advocates wrestle with.

Schließlich geht Eaves auch noch auf die Feststellung von Slee ein, die die ganze Debatte eröffnete: ‚It’s not a movement, at least in any reasonable political or cultural sense of the word.‘

We will have to agree to disagree. My experience is quite the opposite. It is a movement. One filled with naive people, with skeptics, with idealists focused on accountability, developers hoping to create apps, conservatives who want to make government smaller and progressives who want to make it more responsive and smarter. There was little in the post that persuaded me there wasn’t a movement.

Mich würde es freuen, wenn im deutschsprachigen Raum ebenfalls eine so engagierte Auseinandersetzung über Open Data & Co. stattfinden würde. Ich weiß nicht, ob der Begriff „Bewegung“ der richtige ist, um die Dynamik rund um Open Data in Deutschland zu beschreiben (und auch international, soweit ich das überblicke). Jedenfalls ist es keine „soziale Bewegung“, unter die man mit einigem Wohlwollen etwa jüngst „Occupy“ fassen könnte.

Vielmehr ist eine Melange aus Aktivisten, Unternehmern und Beamten – eine ungewöhnliche Mischung, die vielleicht als „civic society-public-private-partnership“ bezeichnet werden kann.

Ich halte es zumindestens für problematisch, dass Akteure wie David Eaves, Alex Howard und Rufus Pollock (eine der führenden Figuren der Open Knowledge Foundation) in einem Beratergremium der kanadischen Regierung sitzen. So etwas ist zumindest für eine „Bewegung“ sehr untypisch. Bei Anhörungen, Konferenzen, Komissionen o.ä. dabei zu sein, dient der Sache – gegen Bezahlung (?) zu beraten, überschreitet eine Linie, auf der Aktivisten und auch Journalisten klar auf einer Seite bleiben sollten. UPDATE: Alex Howard teilt mitThe Canadian #opengov advisory panel is unpaid, voluntary & non-binding. Please read: Link

In meinen Augen ist die Gefahr hier sehr groß, vereinnahmt zu werden. Dass ich in diesem Sinne wenig von der Feigenblattveranstaltung Apps4Dtl. gehalten habe, habe ich dargelegt. Andere halten so etwas für legitim, weil erst einmal „kleine Brötchen“ gebacken werden müssten.

Wen also interessiert, welche Art von Gebäckstück hierzulande gerade in der Mache sind, lese bitte das „Diskussionspapier zur Open-Government-Data-Zusammenarbeit in der
D-A-CH-Region
„.

6 Gedanken zu „Gibt es eine Open-Data-Bewegung?“

  1. Ich würde die Open-Data-Bewegung schon als solche Bezeichnen. Die einzelnen OpenData Akteure haben sehr unterschiedliche Beweggründe, aber in den Zielen was die Freigabe von Daten betrifft sind sie sich relativ einig.

    Das Hauptproblem sehe ich eher darin, dass sich ähnlich wie in den 90er Jahren bei Freier Software, viele Berater, Politiker und Institutionen anfangen das Thema in Beschlag nehmen und sich erst herausstellen muss, wem es um die konkrete Sache und nicht nur um das Geld bzw. politische Aufmerksamkeit geht.

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