Fünf Jahre Datenjournalismus: Im Mainstream angekommen

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Anfang März 2009 schrieb Simon Rogers den ersten Artikel im Guardian Datablog: „This is a place to discuss data and what we can do with it.“ Rogers experimentierte mit damals neuen Tools wie Google Fusion Tables, setzte konsequent auf die Tabellen von Google Docs, probierte immer wieder neue Dinge aus und zeigte, wie ohne Programmierkenntnisse mit Daten hantiert werden konnte. Als 2010 die beiden großen Wikileaksgeschichten (Afghanistan, Irak) erschienen, konnte der Guardian auch Dank der Expertise in Sachen interaktiver Datenvisualisierung gelungene Arbeiten abliefern.

CAR, computer-assisted-reporting, gab es schon seit Jahrzehnten. 2009 war nicht das Jahr in dem Daten erstmals journalistisch online und in interaktiven Anwendungen genutzt wurde. Adrian Holovatay, dessen Text „A fundamental way newspaper sites need to change“ als ein wichtiger Impuls für Datenjournalismus gilt, hatte schon 2005 mit automatisiertem „Crimemapping“ per Datensätzen begonnen. Der Start des Datablogs des Guardians war dennoch ein wegweisendes Ereignis: Ein großes international gelesenes Medium widmete sich auf neue Weise regelmässig und explizit Datensätzen, die im journalistischen Alltag  zwar von je her eine Rolle spielten. Aber selten zuvor war Daten die Hauptrolle zugekommen und sie unmittelbar für die Schilderung eines Sachverhalts oder Vorgangs genutzt worden. Und soweit es sich nachvollziehen lässt, wurde der Begriff data-driven-journalism und Datenjournalismus 2009/2010 geprägt. Genau in der Zeit übrigens, in der auch das Thema „Open Data“ Konjunktur bekam: Datensätze wurden vermehrt als gesellschaftliche Ressource begriffen.

Rogers ist mittlerweile vom Kommunikationsunternehmen Twitter eingekauft worden. Er arbeitet dort nun zu Daten rund um die Twitternutzung; die Zeiten, in den Rogers Trendsetter im Bereich Datenjournalismus war, sind mit seinem Wechsel zu Twitter vorbei; faktisch macht er jetzt data-driven-PR oder Datenöffentlichkeitsarbeit. Insofern steht Rogers exemplarisch für die Entwicklung des Datenjournalismus. Als exotisches, nerdiges Thema hat es es nunmehr in den Mainstream geschafft. Neben journalistischen Medien wird auch Unternehmen und NGO klar, dass sie wie eigentlich alle Institutionen auf Unmengen an Daten sitzen, die sie in der Kommunikation nach außen anders einsetzen können.

Heute nun sind neue Formate und Ansätze im Datenjournalismus selten geworden. Auch die Vielfalt an Datenvisualisierung hat ihre Grenzen. Technisch wird weiter gefeilt, es werden immer wieder elaborierte Stücke erscheinen und bestehende Tools verbessert werden und neue hinzukommen. Eine zeitlang war data-driven-journalism das „innovativste“ Genre im journalistischen Onlinebereich: Durch das Ausschöpfen von Web- und Browsertechnologie sowie der Möglichkeiten dynamisch Inhalte aus Datenbanken zu ziehen, wurden bislang nie gesehene Perspektiven auf und Beschreibungen von Themen realisiert. Es ist heute „normaler“ geworden, dass Datensätze mit digitalen Tools analysiert und kleine oder größere Datenvisualisierungen veröffentlicht werden. Normal, dass Teams von Statistikern (oder auch Data Scientists) und Programmierern sowie Designern in Redaktionen Einsatz finden. Das ist ein Gewinn für den Journalismus überhaupt – Datenjournalismus ist anerkannter Teil des Methodenkanons geworden.

Es ist wichtig, dass er sich etabliert hat. Datenjournalismus bringt die adäquaten Instrumente mit, um den mehr und mehr von Algorithmen geprägten Alltag im digitalen Zeitalter zu durchdringen und zu fassen. „We need to get inside that black box, to understand how they may be exerting power on us, and to understand where they might be making unjust mistakes“, heißt es dazu im Leitfaden „Algorithmic Accountability Reporting„. Wie das aussehen kann, zeigte unlängst ein Stück über den Empfehlungsmechanismus des Videoanbieters Netflix. Tatsächlich dürfte diese „black box“ mit der spannendste und herausforderndste Bereich sein, mit dem sich Datenjournalisten beschäftigen können.

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