Die Presse im Gefahrengebiet

Bei Meldungen der Polizei wird auf journalistische Sorgfalt verzichtet

mopo_hamburg_30.12.2013

Angesichts des Vorgangs um einen angeblichen Angriff auf die Hamburger Davidwache am Samstag, den 28.12.2013, betrachte ich hier die Rolle der Presse. Denn es geht nicht um eine Petitesse – wird doch zuletzt auch mit diesem “Angriff” die Einrichtung eines „Gefahrengebietes“ in einigen Hamburger Stadtteilen begründet – so schreibt die Hamburger Polizei in einer Pressemitteilung vom 03.01.2014:

In den vergangenen Wochen wurden wiederholt Polizeibeamte und polizeiliche Einrichtungen angegriffen. Hierzu zählen insbesondere der Angriff am 12.12.2013 auf das Polizeikommissariat 16 und die beiden Angriffe vom 20.12.2013 und 28.12.2013 auf die Davidwache.

An dem 29.12.13 –  einem Sonntag – dürfte es zwischen den Jahren nur eine dünne Besetzung in allen Redaktion gegeben haben. Um 13 Uhr kam die Pressemitteilung der Hamburger Polizei. Sie ist mit „2. Angriff auf Polizeibeamte – drei Verletzte“ betitelt. Dieses Narrativ wurde in den nächsten Tagen auch von den meisten Medien übernommen. Dabei suggeriert die Wortwahl „Angriff auf eine Wache“, dass versucht worden sei, eine Polizeistation zu stürmen. Was selbst in der Pressemitteilung der Polizei so nicht steht: Es seien Polizisten nach Verlassen der Wache angegriffen worden.

Sowohl der NDR als auch die Hamburger Morgenpost (DuMont Schauberg) – Mopo – ein Blatt mit sozialdemokratischen Wurzeln, zitierten noch am gleichen Tag Gerhard Kirsch. Der Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei Hamburg sprach vom möglichen Einsatzes von Schusswaffen. (Zur wortgewaltigen Rhetorik der zwei Polizeigewerkschaften sei dieser FAZ-Text empfohlen.) Folgerichtig erschien die Print-Mopo dann am nächsten Tag mit dem oben abgebildeten Titel.

Was aber das eigentliche Problem ist: Pressemitteilungen der Polizei scheinen offenbar grundsätzlich als wahr betrachtet zu werden. Während vom Boulevard eh kein Journalismus erwartet werden sollte, sollten die selbsternannten Qualitätsmedien wenigstens den Konjunktiv benutzen, wenn sie Pressemitteilungen der Polizei übernehmen. Doch der erste Beitrag beim NDR klingt gar, als ob ein Reporter des Hauses dabei gewesen wäre – wahrscheinlich war mit der Pressestelle der Polizei telefoniert worden:

Der Angriff folgt unvermittelt: Steine und Flaschen gehen auf die Beamten nieder. Dabei wird ein 45 Jahre alter Beamter so schwer getroffen, dass er einen Kiefer- und einen  Nasenbeinbruch erleidet. Einer der Täter hatte ihm einen Stein aus nächster Nähe ins Gesicht geschlagen. Der Beamte kommt ins Krankenhaus. Ein weiterer Beamter erleidet ein Bauchhämatom, einer 48 Jahre alten Polizistin wird Pfefferspray ins Gesicht gesprüht.

Im Pressekodex des Deutschen Presserats heißt es:

Ziffer 2  –  Sorgfalt

Recherche ist unverzichtbares Instrument journalistischer Sorgfalt. Zur Veröffentlichung bestimmte Informationen in Wort, Bild und Grafik sind mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen und wahrheitsgetreu wiederzugeben. Ihr Sinn darf durch Bearbeitung, Überschrift oder Bildbeschriftung weder entstellt noch verfälscht werden. Unbestätigte Meldungen, Gerüchte und Vermutungen sind als solche erkennbar zu machen. Symbolfotos müssen als solche kenntlich sein oder erkennbar gemacht werden.

Aus dieser Sorgfaltspflicht leitet sich das ungeschriebene Gesetz ab: Als gesicherte Nachricht gilt, wenn sie von von zwei unabhängigen Quellen bestätigt wurde.

Fast durch die Bank weg haben alle Medien in Deutschland – soweit ich das verfolgen konnte –  diese Sorgfaltspflicht bei den Vorgängen in Hamburg verletzt. Denn die Pressemitteilung der Polizei ist erst ein Mal als „unbestätigte Meldung“ anzusehen und müsste laut Pressekodex „mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf ihren Wahrheitsgehalt“ überprüft werden. Angesichts der aufgeladenen Stimmung in Hamburg waren die „Umstände“ bereits delikat – es wäre also um so mehr Sorgfalt geboten gewesen.

Dass dies nicht geschah, mag zum einen an den Ferien und Feiertagen gelegen haben. Wenn man an eine gezielte „Desinformation“ der Polizei glauben mag, könnte das durchaus auch das Kalkül gewesen sein. Es mag aber auch an der Deutschen Presseagentur liegen. Die DPA meldete am 04.01.2014 um 11:05 Uhr: „… Am vergangenen Wochenende waren bei einem Anschlag auf die Davidwache auf der Reeperbahn drei Beamte schwer verletzt worden.“ Wie gesagt, außer der Pressemitteilung der Polizei gab es zu dem Zeitpunkt kein zweite Quelle, die das bestätigte. Wenigstens der Einsatz des Konjunktivs wäre hier angebracht gewesen und das Wort „Anschlag“ hätte man vermeiden können.

Gerade die DPA als wichtiger Zuträger für viele Medien in Deutschland sollte äußerst sorgfältig sein. So erstaunt um so mehr, dass die mir aktuellste vorliegende Zusammenfassung von heute morgen, Mittwoch den 8.1.14 – 5 Uhr, weiterhin kein Wort über die fehlerhafte Pressemitteilung und die Zweifel an der polizeilichen Version des „Angriffs“ auf die Davidwache enthält. In der Meldung „Polizei nimmt 17 Personen nach Spontan-Demo in Hamburg in Gewahrsam“ ist zu lesen:

Das Gefahrengebiet war am Wochenende in der Hansestadt eingerichtet worden, nachdem Polizisten bei Krawallen angegriffen und teilweise schwer verletzt worden waren. Es soll vorerst bestehen bleiben, sagte eine Polizeisprecherin am Dienstag. Polizisten dürfen in dem Gebiet verdachtsunabhängig Personen kontrollieren.

Der Zusatz, dass die Polizei eingeräumt hat, dass der Tatvorgang am 28.12.13 so nicht stattgefunden hat, fehlt hier. Das erstaunt deswegen, weil gestern, am 7.1.14, auch Spiegel Online einen Augenzeugen zitierte, der die Darstellung der Polizei widersprach. Und bereits am Sonntag, den 5.1.14, hatte ein Anwalt des Kulturzentrums Rote Flora Zweifel an der Darstellung der Polizei geäußert, was auch die DPA abends um 20.04 Uhr am Montag, den 6.1.14, veröffentlicht hat:

(dpa-korr) Zudem bezweifelte der Anwalt der „Roten Flora“, Andreas Beuth, die Darstellung der Polizei zu den Geschehnissen an der Davidwache an der Reeperbahn am 28. Dezember.

Es habe zu keinem Zeitpunkt Stein- oder Flaschenwürfe auf die Revierwache oder Polizisten gegeben. „Hinter der bewusst falschen Darstellung stehen augenscheinlich politische Interessen der Polizeiführung und ihrer Gewerkschaften wie zusätzliche Stellen, eine bessere Bezahlung“, erklärte Beuth. Die Polizei wies die Vorwürfe zurück. Die Mitteilung zu dem Vorfall müsse nur in einem Detail korrigiert werden. Der aus kurzer Distanz attackierte Beamte sei nicht direkt an der Davidstraße schwer verletzt worden, sondern in der wenige Meter entfernten Hein-Hoyer-Straße.

davidwBei den Aussagen des Anwalts beherrscht die DPA den Konjunktiv. Allerdings war zu dem Zeitpunkt schon bekannt, dass der Polizist an der Ecke Hein-Hoyer-Straße/ Seilerstraße schwer verletzt wurde – ein Polizeisprecher hatte „Fehler“ in der Pressemitteilung vom 29.12.13 eingeräumt. Aber 130 Meter sind wohl kaum „wenige Meter“. Das „Detail“ ist deshalb wichtig, weil damit deutlich wird: Den vermeintlichen „Angriff“ auf die Wache hat es so nicht gegeben.

Was ist nun aus dem Vorgang rund um den offenbar nie stattgefunden Vorgang zur Davidwache zu folgern?

 

  1. Viele Redakteure in Deutschland haben aus den NSU-Skandal nichts gelernt und legen weiterhin blindes Vertrauen in die Sicherheitsbehörden an den Tag. Pressemitteilungen und andere Aussagen werden ungeprüft übernommen; bei Aussagen der Polizei finden Regeln für journalistische Sorgfaltspflicht offenbar keine Anwendungen. Das ist für eine staatlich gesteuerte Presse in Ordnung, für eine sich als unabhängig verstehende Presse unwürdig.
  2. Wer das Wort „Qualitätsjournalismus“ im Munde führt, sollte sich den Pressekodex in Erinnerung rufen und die Gebote dort praktizieren. Das gilt für die DPA, als eine Art Meta-Redaktion, insbesondere.

Nebeneffekt des Ganzen ist, dass es vielleicht einen CNN-Moment für ein hyperlokales Blog in Hamburg gibt: Die Redaktion von Mittendrin wird dem Namen gerecht und zeigt in Sachen Gefahrengebiet etablierten Medien, wie engagierter Lokaljournalismus heute aussehen kann (17.1.14: siehe NDR-Zapp Beitrag).

17 Gedanken zu „Die Presse im Gefahrengebiet“

  1. Leider ist mir bei angehenden Journalisten des öfteren schon dieser Wille zum bedingungslosen Glauben an Agenturprivileg und privilegierte Quellen begegnet. Wer nur auswendig lernt und nicht darüber nachdenkt, was er da gerade an Themenentwicklung aus Behördenhand präsentiert bekommt, scheitert.

    Aber auch junge Volontäre z.B. in Presseabteilungen sind nicht so abgebrüht, den Rücken gerade zu machen und zu sagen: „Wir warten.“ De facto hab ich aber schon mehrfach erlebt das (Zeit-)druck auf die Leute ausgeübt wurde, die der Verantwortung weder gewachsen waren, noch sie wirklich länger inne gehabt hätten.

    Schlagen dann die Gruppendynamik und der Aspekt Korpsgeist aus den Reihen der Polizei in die verlautbarten Meldungen durch dann ist die Einflussnahme der Politik auf die Akteure kaum noch notwendig.

    Die Frage ist, wie wir – als Journalisten – diese Entwicklung in den eigenen Reihen wieder stoppen können.

  2. Erst einmal das Deckblatt oben ist schon Strafbar , Volkshetze , Grundgesetze werden hier Getreten mit Füßen.
    Hamburg war schon immer ein Gefährliches Pflaster , aber mal davon abgesehen , so wie man in den wald hinein gell . Müssen sie sich nicht wundern wenn sich einige das So nicht mehr bieten lassen wollen .

    Ausserdem ist hier eine Ansage der Polizei zu einer Straftat , und zwar das einsetzen der Pistole auf Menschen gezielt zu schießen ausgesagt worden. Das ist Mord mit Ansage . Was wiederum vor allem nach diesem Text noch mehr zu Gewallt führen wird . Hier haben sich alle schuldig getan, der Zeitunsgverlag, die Polizisten und die Gegner . Es ist wie es ist Politisch doch schon längst gewollt.

  3. „Aus dieser Sorgfaltspflicht leitet sich das ungeschriebene Gesetz ab: Als gesicherte Nachricht gilt, wenn sie von von zwei unabhängigen Quellen bestätigt wurde.“

    Das ist zwar die Prämisse von „All the president’s men“ hat aber doch wenig mit dem alltäglichen Nachrichtengeschäft zu tun. Ein Großteil der Nachrichten braucht keine unabhängigen Bestätigungen — nur wenn etwas im Verborgenen abläuft, außer Reichweite.

    Beispiel: Man braucht keine unabhängige Bestätigung über das Coming Out in der „Zeit“, keine Gegenmeinung zum Korrespondentenbericht aus Kreuth oder zum neusten BGH-Urteil. Ungesichert sind sie dennoch nicht.

    1. Es dreht sich um das Prüfen des „Wahrheitsgehalts“: Bei dem Korrespondentenbericht muss sichergestellt sein, dass der Korrespondent wirklich vor Ort ist und nicht nur Phoenix schaut. Beim Coming Out einer Person sollte recherchiert werden, ob das plausibel ist und die Redaktion nicht einem „Hoax“ aufsitzt.

      1. Du verrennst Dich etwas. Der Korrespondent ist selber Redakteur oder Reporter und muss natürlich prüfen was er meldet. Seine Meldungen ans Mutterhaus stehen jedoch unter keinem Zwang immer gesondert geprüft zu werden.

        1. Kommt immer auf der Verhältnis zwischen Redaktion und journalist an. Es gab Fälle, in denen Interviews gefälscht wurden. Auf einen festangestellten Redakteur oder einen Freien, mit dem man schon lange zusammenarbeitet, sollte man sich selbstverständlich verlassen können – ohne Prüfung. Wenn eine Redaktion aber z.B. von einem bislang unbekannten Freien eine Geschichte oder Interview angeboten bekommt, müsste die Redaktion das eigentlich gegenchecken.

  4. Das Abendblatt beschwört die Volksgemeinschaft gegen den Angriff auf die Davidswache in 5 Artikeln, bringt aber kein Wort darüber, dass die Polizisten eigeräumt haben, dass er so gar nicht stattgefunden hat! Ist es das, was wir nach dem Besitzerwechsel von diesem Blatt zu erwarten haben?

    Eine Stadt steht auf
    http://www.abendblatt.de

  5. die davidwache verfügt vielleicht einfach über einen gesunden gemeinschaftsgeist: angriffe auf einzelne werden möglicherweise als angriff auf die gruppe („davidwache“) gesehen.

    ersetze gebäude mit mannschaft, passt.

    .~.

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