Die datengetriebene Lokalzeitung – die Automatisierung der Nachrichten wird kommen

Seit einigen Jahren darf/muss ich viele Lokalnachrichten lesen. Bzw. überfliegen. Berufsbedingt. Aus dem Bauch heraus würde ich sagen: Mindestens die Hälfte von den geschriebenen Lokalnachrichten, wie sie heute üblich sind, lässt sich in absehbarer Zukunft automatisch generieren. Aber es geht nicht um mein Bauchgefühl. Sondern es gibt Gründe dafür, warum die Automatisierung von Teilen der Lokalnachrichten faktisch unausweichlich ist: Es sind technologische und marktwirtschaftliche.

Sicher dürfte sein: Im Jahr 2025 wird die Anzahl und Auflage gedruckter Lokalzeitungen deutlich niedriger liegen als heute. Der Informationsbedarf der Leute dagegen dürfte sich aber bis dahin nicht grundlegend verändern. Das bedeutet: Digitale Angebote für Lokalnachrichten werden die Nachfrage kompensieren. Die Frage ist nur: Wer liefert die Nachrichten?

Zwei neue Player

Drei Lieferantengruppen kommen in Frage: Neben den klassischen Anbietern Tageszeitung, Lokalradio und lokales TV werden zwei neue Player auf den Plan treten.

Zum einen werden die Giganten aus der Liga Facebook, Google und Amazon versuchen, dort Fuß zu fassen. Entgegen des internationalen und nationalen Nachrichtenmarkts ist außerhalb der großen Städte der lokale Markt – außer vom jeweiligen „Platzhirsch“ – digital noch kaum erschlossen. Das gilt insbesondere auch für den lokalen digitalen Werbemarkt. So erklärt sich wohl, warum jüngst u.a. die ddvg (Deutsche Druck- und Verlagsgesellschaft, Inhaber: SPD) in ein Angebot wie Locafox investierte: Einzelhändler und kleinere Ketten finden in der digitalen Werbung bislang kaum statt. (Die oft in der Werbebranche gebräuchlichen „Nielsengebiete“ sind in ihrer räumlichen Auflösung viel zu grob.)

Es sind die großen Player, die es finanziell und technologisch stemmen können, sich jenseits des längst verteilten Kleinanzeigenmarkts lokal einzuklinken. Nehmen wir beispielsweise an, Google Now kann in Zukunft lokale Kurznachrichten erzeugen („Age of context„). Oder Facebook bietet in Zukunft – als Weiterentwicklung von Instant Articles  – ein System an, mit dem es möglich ist, lokale Berichterstattung mit einem lokalen Werbemodell zu verknüpfen. Eines, das dem Autor/der Redaktion ein halbwegs faires Erlösmodell bietet. Das dürfte den abgeflauten Hype um so genannte hyperlokale Blogs wieder befeuern. Die sind bislang eigentlich immer an der Finanzierungsfrage gescheitert und konnten so gut wie nie der jeweiligen Lokalzeitung vor Ort gefährlich werden.

Die zweite Gruppe neuer Player im lokalen Bereich werden Start-ups sein: Sie suchen – wie Trüffelschweine – immer nach neuen Betätigungsfeldern, um dort idealerweise für „Disruption“ zu sorgen. Derzeit gärt es auch hierzulande in diesem Bereich: Indikatoren dafür sind das EU-geförderte SpeedUp!Europe und der Next-Media-Accelerator der dpa. Dazu kommen Entwicklerprogramme wie das der „Roboterjournalismus“-Firma Aexea, die Initiativen im Bereich der Automatisierung von Nachrichten geradezu herausfordert.

Denn dieser Schritt liegt einfach auf der Hand: Wer mit Software und Daten im Bereich News arbeitet, dürfte früher oder später auf den Gedanken kommen, Aspekte der Berichterstattung zu automatisieren.

Uns geht es jedenfalls so. Vor einiger Zeit haben wir bei Lokaler angefangen, an unserem Kartensystem AGI MapWare zu arbeiten. Richtig in Fahrt sind wir damit vergangenes Jahr geraten. So kommt unser System seit diesem Frühjahr bei Go für die Stadtmagazine Tip und Zitty in Berlin als auch bei der Mittelbayerischen Zeitung aus Regensburg zum Einsatz. Mit weiteren Lokalzeitungen sind wir im Gespräch; nach diesem Sommer etwa wird der Nordbayerische Kurier aus Bayreuth unsere Kartenlösung einsetzen.

Technologische Herausforderungen

Unser System sammelt Daten aus verschiedenen Quellen ein und erlaubt es, ihre Bestandteile zu kategorisieren. Darunter auch dynamische Daten wie Verkehrsmeldungen, ÖPNV-Fahrpläne und Veranstaltungstermine. Ein Modul wertet die Nachrichten der Zeitung nach enthaltenen Ortsangaben aus, bewertet die Relevanz der Angabe und trägt die Nachrichten automatisch auf der Karte ein – hier zu sehen bei der Mittelbayerischen (nicht alle Beiträge enthalten exakte Ortsangaben und so wird in Teilen redaktionell nachgebessert).

Es folgt ein nächster logische Schritt bei einem solchen System, das schon einiges „weiß“, was sich in verschiedenen Gegenden befindet und geschieht: Das Erzeugen von automatisierten Berichten/Zusammenfassungen für bestimmte Gegenden. Die Herausforderung ist dabei, Informationen überhaupt maschinenlesbar – und besser noch strukturiert – zu erhalten (oder sie in diesem Sinne umzuwandeln). Weiter gilt es, relevante von irrelevanten Informationen zu trennen und die Informationen zu klassifizieren, ihre Bedeutung zu „verstehen“.

Die Software und Datenlage wird immer besser

Nach einigen Jahren der Auseinandersetzung mit der Thematik würde ich sagen: Die Datenzugänglichkeit und Datenqualität wird langsam aber stetig besser. Dazu werden die Sensoren des „Internet of Things“, offene Angebote wie Wikidata und OpenStreetMap, mehr und mehr Open Data seitens der Behörden sowie die fortschreitende Digitalisierung fast aller Bereichen weiter beitragen. Gleichzeitig verbessern sich Prozessoren und Geräte fortlaufend; entsprechende Software – davon nicht wenige als Open Source – wird immer weiterentwickelt und steht einfach sowie günstig zu Verfügung. Die mobile Nutzung des Internets wird allen Anzeichen nach weiter zunehmen und so auch die Nachfrage nach eng ortsbezogenen, nach personalisiert zugeschnittenen Informationen steigen.

Dabei geht es nicht um die investigative Reportage oder den Kommentar zu einer politischen Entscheidung. Sondern um die kurze Information über das lokale Wetter, über kommende Veranstaltungen und Baustellenankündigung in meinem Dorf/Kiez. Aber es ist nicht mehr weit, bis die Nachricht über das Jubiläum des Kaninchenzüchtervereins genauso automatisch generiert werden kann wie eine kurze Meldung über das Ergebnis einer Ratssitzung. Spielberichte zum Amateurfußball ließen sich schon heute mittels der Daten von Plattformen wie FuPa automatisiert „schreiben“ (oder per Audiosynthese „sprechen“).

Welches Verlagshaus wird es sich also in Zukunft aus betriebswirtschaftlichen Gründen leisten können, nicht bestimmte Teile seiner Berichterstattung zu automatisieren? Vor allem, wenn im eigenen Verbreitungsgebiet ein Konkurrent aus den Reihen der oben genannten neuen Player antritt. Und es entsprechende Softwareprodukte gibt, die kostengünstig in ausreichender Qualität hyperlokale Lokalnachrichten – in mehreren Sprachen – erzeugen können.

Wir sind jedenfalls nicht die einzigen, die in diesem Bereich arbeiten. Wie weit wir damit kommen, wird sich zeigen. Es ist meiner Meinung nach unausweichlich, dass die automatisierte Lokalberichterstattung in den nächsten Jahren üblich wird. Damit Verlagshäuser der Lokal- und Regionalzeitungen dazu gehören, ist ihnen zu raten: Investiert in Software, denn sie ist im 21. Jahrhundert das Äquivalent zur Druckerei.

4 Gedanken zu „Die datengetriebene Lokalzeitung – die Automatisierung der Nachrichten wird kommen“

  1. in meiner gedankenwelt kann die automatisierung den lokaljournalismus bereichern.

    neuer content bereichert bestehende angebote und individualisierte und lokalisierte angebote schaffen neue möglichkeiten der monetarisierung. solch spezifische informationen, individuell angepasst gibt es nicht im netz. vielleicht eine chance diese inhalte zu monetarisieren.

  2. Realistischerweise wird das Schreiben der Artikel in die Pressestellen und Vereine verlagert. Der Polizist, der die Unfallmeldung einpflegt, schreibt vier Sätze zum Unfallhergang. Der Junggesellenverein pflegt sein Bierfest in die Datenbank ein und liefert später Fotos und Stimmungsberichte. Der Bundestagsabgeordnete posiert mit den Schülern, denen er eine Fahrt nach Berlin organisiert hat. Der NPD-Ortsverein feiert Erntefest.

    Das alles kann man halbautomatisiert zusammenstellen, das kann aber auch ein Volontär, der 100 Kilometer weit weg in der Zentralredaktion sitzt.

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