Jedes Mal, wenn Wahlkampf ist, wundere ich mich, warum keine Datenvisualisierungen oder wenigstens Infografiken auf den Wahlplakaten eingesetzt werden. Formate, die in den vergangenen Jahren sowohl im Netz als auch im Print an Popularität gewonnen haben und ohne Zweifel für „Eyeballs“ sorgen. Und darum geht es doch aus Sicht der Wahlkämpfer. Wer Politikern in den ewigen Talkshows lauscht, hört, wie gerne sie verbal mit Zahlen herumfuchteln. Warum also setzen sie weiterhin auf mehr oder minder müde Slogans anstatt – wenn auch knapp – einen Sachverhalt oder Fakt mit einem Graphen oder Diagramm zu kommunizieren? Dies könnte ja auch durchaus mit einem Spruch oder etwas Augenzwinkern geschehen.
Zwar sind Infografiken mit Vorsicht einzusetzen, weil dort nicht selten das Phänomen des inhaltsleeren „Visualisation Porn“ auftritt und gerne für Marketingzwecke manipulativ mit Fakten hantiert wird. Und auch Datenvisualisierung kann mit Tücken behaftet sein. So oder so: Ist eine plakative Message nicht eben die Grundidee eines Plakats? Und Wahlkampf ist nicht ausgewogener Journalismus. Dass dabei im Eigeninteresse selektiver mit Zahlen umgegangen wird, liegt auf der Hand. Trotzdem könnten mit ein paar Zahlen und Graphen etwas Inhalt, wenn nicht sogar Fakten, an die Stelle der weitgehend sinnentleerten Wahlkampfparolen treten.
Die Organisation Tactical Technology Collective hat ein lesenswertes Buch herausgebracht: Visualising Information for Advocacy. Ist „Advocacy“, Interessensvertretung, nicht ureigenster Auftrag von Parteien? Anregung könnten sich auch bei der Initiative Infobombing geholt werden, die schlichte Datenvisualisierungen verwendet, um ein Thema zu transportieren (Bild: CC:by:nc:sa).
Würden sich Motive wie die von „Data Made of Things“ nicht super auf Plakaten machen? Warum nicht gute Reden oder Konzepte im Stil des „Graphic Recordings“ auf ein Plakat drucken? (Bild: Anna Lena Schiller (Link), CC:by:nc:sa)
Warum wird auf Parteiwebseiten nicht verstärkt auf interaktive Anwendungen gesetzt, die zum Beispiel erlauben, das Steuerkonzept der Partei mit den persönlichen Zahlen durchzurechnen? Überhaupt schreien die Modelle zu Steuern oder dem Gesundheitssystem geradezu danach, dargelegt zu werden. Eine Projektion des Konzepts der eigenen Partei visuell und interaktiv der derzeitigen Situation gegenüberzustellen, wäre doch ein großartige zeitgemäße Argumentationsweise.
Dass interaktive Anwendungen etwas deutlich machen können und viel Aufmerksamkeit generieren (und sogar kostenfrei von Medien multipliziert wird), zeigt die Visualisierung zur Vorratsdatenspeicherung auf Zeit Online aus 2011. Die wird bis heute herumgereicht und geklickt; sie macht de facto permanent Wahlkampf für den Grünen Malte Spitz.
Gute Bilder, Apps und Videos bringen Aufmerksamkeit in den sozialen Medien, gehen möglicherweise viral. Auch darum sollten Wahlkampfspots auf Daten, Animationen und Visualisierungen setzen. Wie beispielsweise das bekannte Video „Du bist Terrorist“ oder dieses hier über die Einkommensverteilung in den USA:
Für eine imaginierte Partei PAP habe ich zwei Ansätze skizziert (Bild ganz oben und ganz unten); einmal zu Einkommen und Vermögen sowie ein Beispiel zum Klimawandel. Es sind nur grobe Entwürfe (ohne Quellenangaben); mir schweben Großflächenplakate vor, die Wimmelbildern gleich viele Aspekte und Fakten anbieten. Die Fußgänger dazu einladen, stehen zu bleiben und sich mit den Inhalten auseinanderzusetzen. Die Autofahrern im Stau oder an der Ampel, aber auch ÖPNV-Nutzern und Fahrradfahrern, etwas zum Betrachten bieten.
Auf jeden Fall halte ich die Art des Plakatwahlkampfs wie er jetzt wieder bei der Europawahl stattfindet, für misslungen; der Platz, den die Plakate bieten, wird in der Regel vergeudet; statt mit hohlen Parolen und reinem Personenwahlkampf den Intellekt des Betrachters zu beleidigen, würde ich mir folgendes wünschen: Dass zumindest ein Teil der Plakate, die ich unterwegs immer wieder sehen muss, eins tun: Intelligent versuchen, mir etwas mitzuteilen oder mich gar zum Nachdenken anzuregen.