Datenjournalismus unterrichten

WASSERPEGEL IN DTL: Entstanden beim Datenjournalismus II-Kurs,
Hamburg, Akademie f. Publizistik, November 2012

Wenn dieses Jahr zu Ende gegangen ist, werden meine Kollegen Marco Maas und Michael Kreil von OpenDataCity und ich zusammen rund 70 Tage Datenjournalismustraining durchgeführt haben. Dazu gesellen sich dieses Jahr eine ordentliche Zahl von Vorträgen auf Tagungen und Workshops – einige davon in Österreich und der Schweiz. Rein quantitativ ist das ein deutlicher Anstieg gegenüber 2011. Und mag als Beleg dafür dienen, dass das Thema in Deutschland wirklich Fuß gefasst hat. Denn wir sind ja nicht die einzigen hierzulande, die über Datenjournalismus sprechen und ihn trainieren.

Prozesse

Für uns als Datenjournalismusagentur sind diese Trainings äußerst wertvoll. Und damit meine ich nicht nur die Einnahmen, die wir darüber generieren oder den Network-Effekt – immerhin lernen wir zahlreiche Leute von allen möglichen Medien kennen. Wichtig ist vor allem auch, dass wir vom Alltag und den Prozessen in den Redaktionen erfahren. Teilweise machen wir Workshops vor Ort und sprechen dann auch dort mit der Verlagsseite oder Entscheidern in der Redaktion. So verstehen wir besser, wie wir dann Datenjournalismusprojekte mit Redaktionen angehen müssen. Einen Teil der „learnings“ aus diesen Begegnungen und Eindrücken ist in den Text „Datenjournalismus im Lokalen“ , den ich im Sommer für den DJV geschrieben habe, geflossen

Offensichtlich ist, dass Daten als journalistische Ressource weiterhin ein stiefmütterliches Dasein hegen. Während in Redaktionen alles mögliche archiviert wird, findet ein systematisches Ablegen und Vorhalten von Datensätzen nicht statt. Dafür fehlen alltagstaugliche Tools. Mit Neid blickt man in die USA, wo Document Cloud, Overview Project und Pandaproject als Werkzeuge entwickelt werden. Insofern lautet mein Vorschlag, dass die deutsche Datenjournalismus-Community sich für 2013 vornimmt, eben diese Datenkatalog-Software Pandaproject für den deutschsprachigen Raum zu lokalisieren.

Aber worüber ich ja eigentlich schreiben wollte: Über das Unterrichten von Datenjournalismus.

Das Hackerelement

Das angenehme an der Datenjournalismusszene, ob in Deutschland oder international, ist, dass sie quasi naturbedingt Elemente der Hackerkultur übernommen hat: Das Verfassen von Tutorials, das Veröffentlichen von Open Source-Tools und eine Kultur des gegenseitiges Unterstützens und Austauschs sind selbstverständlich.

Die Hackerseite, das Programmierelement beim Datenjournalismus ist aber auch mit die größte Herausforderung bzw. schreckt meinem Eindruck nach viele Journalisten ab, sich datenjournalistischen Methoden zu nähern. So mancher Journalist hat eine geisteswissenschaftliches Studium hinter sich und so hört man in Kursen oft: In Statistik war ich aber nicht gut. Die regelmäßige Arbeit mit einem Tabellenkalkulationsprogramm wie Excel kann in der Regel nicht vorausgesetzt werden.

So gestalten sich Einführungskurse meist so, dass nach einem Überblick zum Thema mit Tools wie Fusion Tables erste Schritte unternommen werden. Und eben Grundlagen von Excel vermittelt werden. Wenn Teilnehmende nach einer Stunde der oft ungewohnten Arbeit mit Tabellen selber einen Datensatz auf eine interaktive Karte geworfen haben, ist bei vielen dann eine wichtige Hürde genommen: Sie merken, dass es nicht so kompliziert ist. Und der Prozess, darüber nachzudenken, wie so ein Tool in der eigenen Arbeit Platz haben kann, beginnt.

Datawrapper

Das Werkzeug Datawrapper schlägt in eine ähnliche Kerbe. Es ist explizit für den Einstieg gedacht, wie Mirko Lorenz eben in einem Interview erklärt. Er hat das kostenfrei nutzbare Tool zusammen mit Nicolas Kayser-Bril und Gregor Aisch entwickeln. Unlängst kam eine überarbeitete Version heraus.

Tatsächlich funktioniert ein Einstieg mit Datawrapper meinen Erfahrungen nach gut. Seit diesem Monat unterrichte ich zusammen mit Marco Maas an der Macromedia Hochschule in Hamburg Journalistikstudierende, die in ihrem sechsten Semester sind. Das ganze läuft in sechs Blockseminiare á zwei Tagen ab: Die eine Hälfte unterrichtet Marco, die andere ich. Am Ende – so schreibt es die Prüfungsanforderung vor – soll dann ein Produkt herauskommen. Der Datawrapper ist da hilfreich. Weil bspw. bei Übungen mit Excel per Copy & Paste Daten übertragen und unkompliziert visuelle Ergebnisse erreicht werden können – ansprechender und einfacher als mit den Excel-eigenen Darstellungsmöglichkeiten. Und die Grafik kann einfach eingebettet werden, z.B. so:


Ich bin gespannt, wie es mit diesem Kurs weitergeht – über so einen Zeitraum habe ich das das Thema bislang nicht trainiert. Auch ist das Klientel ungewohnt für mich – in der Regel vermittle ich es an Leute, die im Beruf stehen. Deswegen wird sich also nicht nur der reinen Praxis gewidmet, sondern sind auch einige Grundlagentexte Teil des Unterrichts – neben einem Produkt ist nämlich auch ein 5000 Zeichen-Text Teil der Prüfungsaufgabe.

Vier wichtige Dinge

Vier Dinge beim Unterrichten von Datenjournalismus halte ich für wichtig:

  • Zeit: Mindestens zwei Tage sollte ein Workshop dauern. Dann können Teilnehmende eigene kleine Projekte angehen; bestimmte Schritte, Methoden und Tools können vertieft bearbeitet werden.
  • Themen: Bewährt hat sich, dass Themen für die gemeinsame Übungen aus dem Arbeitsalltag der Teilnehmenden genommen werden. So zeigt  sich auch gleich, dass es nahezu zu jedem Thema Daten gibt bzw. für jedes Thema ein Datensatz erzeugbar ist. I.d.R. habe ich für den Notfall einen Datensatz vorbereitet, falls es nicht gelingt, spontan Daten zusammenzutragen.
  • Raum/ Ausstattung: Beim Unterrichten von Datenjournalismus – wie eigentlich bei jeder Form von Wissensvermittlung – spielt nicht zuletzt die Form eine Rolle. Also etwa der Schulungsraum und die technische Ausstattung. Oft muss man als Trainer einzelnen Teilnehmenden an deren Rechnern etwas zeigen – eine Anordnung der Tische, die mir als Trainer erlaubt einfach zu jedem einzelnen zu gelangen, ist hilfreich. Daneben sollte das Netz reibungslos funktionieren, jeder Teilnehmer einen Rechner mit einem neueren Excel o.ä, vor sich haben; darauf Firefox oder Chrome installiert haben, einen Google Account und wenn möglich die Rechte, Erweiterungen für die Browser zu installieren. Gut wäre auch die Installation eines Texteditors wie Notepad++ (Win) oder TextWrangler (Mac).
  • Kolloboration: Während des Unterrichtens richte ich ein Etherpad ein; dahinein kommen dann Links etwa zu einem Google Doc an dem alle mitarbeiten können. Die Teilnehmenden packen  dort ihre Rechercherergebnisse hinein und teilen sie miteinander. Und das Pad mit seiner bleibenden URL dient als Linksammlung für Tutorials, Tools. etc.

Für Fortgeschrittene

Vergangene Woche wurde es spannend. Vor rund einem Jahr hatte ich mit der Akademie für Publizistik das Seminar „Datenjournalismus II“ geplant. Damals dachten wir, es kommen vielleicht 5 Leute. Tatsächlich war das Seminar jetzt mit 13 Personen überbucht.

Ralf Thees, einer der Teilnehmer hat schon über das Seminar gebloggt. Und hat das Dilemma für uns – Michael Kreil war als zweiter Trainier dabei – gut beschrieben. Auch wenn wir uns explizit an Fortgeschrittene gewandt haben: Die Bandbreite an Kenntnisstand über Web und Programmierung war trotzdem sehr groß.

Anstatt dem angekündigten Programm zu folgen, schlugen wir den Teilnehmen vor, ein komplettes Projekt umzusetzen und am Ende der beiden Tagen dann einen Prototypen der Visualisierung fertig zu haben. Das hielten wir für praxisnäher. Das hat auch halbwegs geklappt: Wir haben uns die Daten der Wasserpegel der deutschen Gewässer, die das Schifffahrtsbundesamt bereitstellt, vorgenommen. Es wurde gescraped, Daten gereinigt (Reg Ex), über Story, Anwendungszenario und -sinn sowie Usability, User Interface (UI) und User Expierence (UX) Gedanken gemacht. Und dann mit Javascript und OSM/ Mapbox/ Leaflet eine interaktive Karte generiert (siehe oben). Vor allem der letzte Teil, den Michael vorne an der „Tafel“ vorführte, war für die meisten Teilnehme zu speziell.

Dennoch ist es uns glaube ich halbwegs gelungen, zwei zentrale Dinge zu zeigen: Es geht bei Datenjournalismus um Teamwork. Und Datenbeschaffung- und aufbereitung nimmt locker 2/3 des Arbeitsanteils bei einem Datenjournalismusprojekt in Anspruch.

4 Gedanken zu „Datenjournalismus unterrichten“

  1. Damit kein falscher Eindruck entsteht: Auch wenn mich das Seminar „Datenjournalismus für Fortgeschrittene“ inhaltlich nicht wirklich gefordert hatte, so war es doch die Reise auf jeden Fall wert. Für mich und meinen Kollegen — der auch inhaltlich einiges mitgenommen hat — war es sehr inspirierend und wir haben gute Ideen in der Zeit entwickelt, wie wir das Thema Datenjournalismus bei uns in der Online-Redaktion umsetzen können.

    Die Wissensbandbreite wird bei allen Seminaren, die über den Grundkurs hinausgehen, ein Problem bleiben. Ihr könntet natürlich die Vorgaben, welche Kenntnisse die Teilnehmer mitbringen müssen, enger und klarer definieren. Aber ich bin nicht sicher, ob das der richtige Weg ist. Ich glaube, ihr werdet in den weiteren Seminaren einfach noch Erfahrungen sammeln (müssen), um ein Gefühl für den durchschnittlichen Pegel des Wissens der Teilnehmer zu bekommen — Hoch- und Niedrigwasser könnt ihr aber wohl nie ausschließen.

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