In Sachen Datenjournalismus war im deutschsprachigen Raum im Jahr 2011 einiges los. Manche, wie Medienjournalist Christian Jakubetz, meinen dennoch, dass der Hype um Datenjournalismus bereits zurückgehe und das Thema in zwei Jahren vom Tisch wäre.
Eine Einschätzung gegen die einiges spricht. Im Frühjahr 2012 etwa wird es eine Recherche und Datenjournalismus-Fachtagung in Hamburg geben. Das in Berlin bereits sechs Mal statt gefundene Datenjournalismus-Treffen wird im neuen Jahr am 25. Januar in anderer Form weitergehen: Mehr praxisorientiert und von mehr Leuten in der Vorbereitung getragen (die offene Mailingliste dazu findet sich hier). Und wie in diesem Jahr wird es auf der Netzkonferenz re:publica im kommenden Mai auch um Datenjournalismus und Open Data gehen.
Steigendes Interesse, auch jenseits des Journalismus
Aus Sicht meiner Warte stelle ich fest, dass die Anfragen nach Referenten- und Trainingstätigkeiten rund um das Thema stetig zunimmt; ebenso die Wünsche danach, als Interviewpartner zur Verfügung zu stehen – nicht zuletzt für Studierende, die ihre Abschlussarbeit zu dem Thema schreiben (ich schätze, dass zur Zeit mindestens fünf solcher Arbeiten im deutschsprachigen Raum geschrieben werden/ wurden – z.B. eine wie diese hier (pdf)).
Bei meiner Arbeit mit der Agentur OpenDataCity stellt sich die Situation so dar: Die Zahl der Anfragen für die Umsetzung von Projekten von und Beratung für verschiedenen Redaktionen im Laufe des Jahres stieg kontinuierlich exponentiell an. Übrigens auch von Interessenten außerhalb des reinen Journalismusbetriebes.
Hype-Status wird hinter sich gelassen
Ein anderer Fingerzeig dafür, dass Datenjournalismus den Hype-Status hinter sich lässt, ist Zeit Online. Mit der Vorratsdatenvisualisierung, aber auch der Anwendung zur Atomkraftwerken und Bewohnern in deren Umkreis hat das Onlinemedium zwei viel beachtete Datenjournalismusaufschläge in diesem Jahr geliefert. Dort wird nun die „Entwicklungsredaktion“ ausgebaut – in der Ausschreibung für die Leitung derselbigen wird explizit Datenjournalismus als Tätigkeitsbereich genannt (pdf).
Auch in anderen Medien gab es dieses Jahr einiges zu sehen. Etwa in der taz mit der Fluglärmkarte und der Parteispenden Anwendung. Oder die Karte der Berliner Morgenpost zu den Berlinwahlen; Spiegel / Spiegel Online macht (erste?) Gehversuche mit der Visualisierung von Sportdaten – um einige Beispiele zu nennen.
Weiter weist international einiges darauf hin, dass Datenjournalismus ein sich etablierendes Genre ist. So konnte das European Journalism Centre Förderung für seine Datenjournalismusplattform sichern; das Global Editors Network ruft für kommendes Jahr das erste Mal einen Datajournalism Award aus – zusammen mit Google.
Interessant dürfte die Debatte über die Definition des Datenjournalismus bleiben. Ich bin Anhänger eines engen Verständnisses von Datenjournalismus; sprich Fan von Datenartikeln, die als interakive datenbankbasierte Visualisierungen online daherkommen. Andere definieren ihn weniger orthodox darüber, dass in der Recherche ein oder mehrere Datensätze eine wichtige Rolle spielen. Man könnte beispielsweise stundenlang diskutieren, ob die Stiftung Warentest mit ihrem Printheft nicht anders betreibt als Datenjournalismus: Es wird gemessen, verglichen und in Tabellen ausgewertet. Siehe auch Zeitschriften wie Kicker oder diverse Finanztitel.
Keine erkennbare Datenjournalismusstrategie in Sicht
So oder so – Datenjournalismus in Deutschland entwächst langsam seinen Kinderschuhen. Entgegen der Vorbilder aus UK oder USA gibt es bislang allerdings kein deutschsprachiges Medium, das ein Daten-Ressort pflegt. Also eine Sammelstelle aller Visualisierungen, Datensätze und Datengeschichten, die ein Medium anzubieten hat. Überhaupt zeigen sich zwischen dem, was 2011 technische möglich wäre und was die Regel ist, erstaunliche Diskrepanzen. Man nehme nur die Visualisierung der Unwetterzentrale auf SpOn, die hinsichtlich der Nutzbarkeit einiges an Überarbeitung bedürfte.
Generell scheint den meisten Onlinemedien ein kohärentes Konzept für Visualisierungen, vor allem auch für den brauchbaren Einsatz von interaktiven Karten, zu fehlen. Von einer erkennbaren und gehaltvollen Datenjournalismusstrategie kann aus meiner Sicht bei keinem deutschprachigen Medium die Rede sein. Die Fixierung auf Social Media und mobile Apps scheint viele Ressourcen aufzufressen.
So wundert es kaum, dass einige gute Gelegenheiten, Geschichten mit Daten zu erzählen oder Vorgänge ersichtlich zu machen, verpasst wurden. Angefangen bei der Finanzmarkt- und Eurokrise, die nur so vor Daten strotzt und danach schreit, mittels Visualisierungen verständlich aufbereitet zu werden. Oder die Abbildung von Stresstest- und Baukostendaten im Zusammenhang mit Stuttgart 21, die zur einer Versachlichung der Debatte hätten beitragen können. Das Thema Fluglärm an der 4. Startbahn in Frankfurt hätte auch von einem journalistischen Medium visualisiert werden können – und nicht einer von der hessischen Landesregierung gegründeten gemeinnützigen GmbH überlassen werden sollen.
Baustein des digitalen Journalismus
Ich gehe davon aus, dass wir 2012 mehr Ergebnisse von Datenjournalismus in deutschsprachigen Medien sehen werden. Auch auf Ebene der Lokalzeitungen – dort finden dann wohl eher herkömmliche kostengünstige Werkzeugen wie Google Fusion Tables ihren Einsatz. Anderswo dürfte es große interaktive datengetriebene Visualisierung zu sehen geben. So mancher Wissenschaftsjournalist wird anders als bisher Daten zum Einsatz bringen. Ebenso dürfte im Bereich Unternehmenskommunikation einiges passieren, vielleicht auch in der Öffentlichkeitsarbeit von Non-Profit Unternehmen/ NGO. Auf den datenreichen Bereich von Politik und Verwaltung sollte man allerdings eher nicht warten.
Bleibt zu hoffen, dass wir im Onlinejournalismus andere Plattformen und Technologien jenseits der gängigen Redaktionssystem (CMS) sehen werden; wohlmöglich treten auch neue Player jenseits der alten Medienhäuser auf den Plan, die mit Daten anders Informationen vermitteln als bisher – letztlich wird sich Datenjournalismus im Jahr 2012 weiter als wichtiger Baustein des Methodenapparats für einen modernen digitalen Journalismus ausformen.
Meine Meinung: Datenvisualisierung wird sich weiter entwickeln. Der Trend ist längst nicht vorbei. Die Tools stecken noch in den Kinderschuhen. Allerdings habe ich den Verdacht, dass sich (nicht nur) im Journalismus die Attraktivität des Themas häufig aus seiner Ästhetik nährt (das hatten wir schon einmal beim Hype um die „klassische“ Infografik). Diese Sicht versperrt manchmal den Blick auf die Chancen des Themas. Keine Schuldzuweisungen hier: es gibt quasi kaum wissenschaftliche Theorien und Methoden, die den Beteiligten bekannt sind (natürlich gibt es sie: z.B. in der Statistik). Auch fehlt den (journalistischen) Entscheidungsträgern häufig allgemein die „visual literacy“: Fehler in Texten zu erkennen und diese zu korrigieren, das ist einfach, weil in Schule, Ausbildung und Studium endlos gelernt. Den Unterschied zwischen Balken- und Liniendiagramm kennen und argumentieren, das fällt vielen schon schwer. Übrigens auch im hochschulbereich: Die Verankerung der Datenvisualisierung, Infografik und des Datenjournalismus muss in der Hochschullandschaft weiter etabliert werden. In gestalterischen ebenso wie in journalistischen Studiengängen. Gefragt ist, was beiden Feldern per se eigen sein sollte: disziplinübergreifendes Denken und Handeln. Dann klappt’s auch mit dem Datenjournalismus.
Danke für den Kommentar. Ja, „visualisation porn“ ist beliebt. Ich bin mal gespannt, was sich in Sachen Ausbildung tut.
Wenn ich mal eben den Wulff machen und scheibchenweose dementieren und haarspalten dürften: Ich habe in dem Interview, auf das du dich vermutlich beziehst, gesagt, dass ich glaube, der Hype gehe bald vorbei. Vom Tisch ist das Thema keineswegs. Man wird sich – auch angesichts dessen, was du selbst hier schreibst – bei einer etwaigen 2. Auflage von Universalcode überlegen müssen, wie man das Thema dann im Buch präsentiert. Das war alles 🙂
Danke für den Kommentar. In dem oben verlinkten Interviewausschnitt sprichst du bezüglich Datenjournalismus von einem erkennbaren „Rückgang“. Weiter sagst du, das Thema sei möglicherweise bald nicht mehr so relevant, dass es ein eigenes Kapitel im Universalcode bräuchte.