Das Ergebnis der Tageszeitungsdebatte des Spiegels ist in ein App-Konzept für Smartphones kondensiert (hinter dem Link kann man nach dem Introvideo oben rechts dahin springen). Im Juli 2013 lief die als Debatte bezeichnete Aneinanderreihungen von Selbstgesprächen. Sie sollte die Tageszeitung neu- oder weiterdenken. Die Beschränkungen des Trägermediums Papier, das durch seine Eigenschaften auch die Art, wie auf ihm Journalismus geschehen kann, determiniert, sollte im Digitalen erst gar nicht hinter sich gelassen werden.
So kam zwar die ordentlich gestaltete Skizze einer Anwendung für Mobiltelefone heraus. Doch bemüht die doch sehr deutlich die Tageszeitungmetapher und wirkt auch deswegen antiquiert. Zu sehen ist nicht die „Tageszeitung der Zukunft“, sondern eine App wie sie heute existieren könnte, hätten die Verleger nicht erst 2010 bemerkt, dass das Internet nicht wieder weg geht .
„Wir haben uns entschieden, keine utopische Zeitung zu entwerfen, sondern eine, die man schon heute realisieren kann“, heißt es folglich auch im Text. Im hier und jetzt bleiben zu wollen, ist eine weit verbreitete konservative Haltung und spiegelt das wieder, was hierzulande landläufig als Innovation im Journalismus gilt. Dass nicht über die Zukunft nachgedacht werden will, weil das dann nach Utopia führen könnte, wirkt kläglich.
Wofür steht im Hasthag die 2020?
Insofern ist das Ergebnis Ausdruck des Abgesangs einer Generation und ist passend mit „Der Abend“ betitelt: Die heute 50-plus-Jährigen, die in der Regel die Entscheiderpositionen in den Redaktionen und Verlage bekleiden, die Platzhirsche, sind zutiefst geprägt von der Printwelt. Es fällt ihnen schwer auf dem Smartphone und Tablet anders zu können, als die ihnen liebgewonnene Tageszeitung imitieren zu wollen. So zeigt sich wieder: Die wirkliche Zukunft der Zeitung wird hierzulande erst in fünf bis zehn Jahren beginnen, wenn die Generation, deren Karriere noch bevorsteht oder erst begonnen hat, die Entscheidungen treffen wird.
Einige Anmerkungen zum App-Konzept:
- Für die Kürze der Zeit wirkt das Ganze schlüssig und poliert. Vielleicht ist auch dem Zeitfaktor die Entscheidung geschuldet, ein Konzept für das Smartphone anzugehen – der Designaufwand ist überschaubar. Nur nutzen Leute heute auch Tablets und Laptops/ Desktops zum „Zeitung“ lesen sowie eBook-Reader, vielleicht in Zukunft auch mehr den (hochauflösenden) TV als 2nd-Screen für die Zeitungs-Website/App sowie unterwegs die „SmartWatch“ am Handgelenk. Zudem werden Geräte wie Google Glass kommen und welche, von denen wir heute noch nichts wissen. Ein modernes digitales Informationsangebot für das Jahr 2020, das an Stelle der Tageszeitung rücken will, sollte sich Gerät, Nutzungsart und Tageszeit von alleine anpassen und situativ reagieren.
- Überhaupt wirkt das Konzept so, als ob sich wenig Gedanken über (Web-)Technologie gemacht wurden. Zum einen wird als Rückkanal nur an das geschriebene Wort gedacht (wer schreibt lange Kommentare auf dem Telefon?). Smartphones können Audio, Fotos und Videos aufnehmen und übertragen, kennen ihren Standort und messen Bewegung und gar Luftdruck sowie Temperatur; beherrschen WLAN, Bluetooth und RFID. Eine moderne „Tageszeitung“ könnte einiges mehr mit den Daten der Crowd ihrer Leser machen, stärker mit ihr interagieren.
- Womit man beim Stichwort „Sensoren“ wäre. Das „Internet der Dinge“ kommt, schleichend zwar, aber das immer mehr Geräte und Dinge mit dem Internet verbunden sind, ist nicht zu bestreiten. Deren Datenmengen zu interpretieren, aus den Zählungen und Messwerten automatisiert kurze Nachrichten und Berichte zu erstellen, kann journalistischen Charakter haben. Das werden keine Reportagen, Feuilletonstücke oder Kommentare sein, aber nützliche Informationen und Zusammenfassungen, die im Alltag und unterwegs dienlich sein werden: So etwas sollte eine neue „Tageszeitung“ einsetzen.
Nun will das App-Konzept, das ohne Werbung auskommt, gar nichts anderes sein, als das, was die „Lokalzeitung früher war: der Marktplatz einer Stadt“. Aber was soll man mit diesem Bild anfangen? Welche Rolle spielt der Marktplatz heutzutage noch? Und für wen ist das überhaupt ein erstrebenswertes Ziel? In Zeiten von Shopping Malls, Amazon und Ebay, Mega-Supermärkten am Dorf-/Stadtrand? Ist das schlichte Fazit wirklich: Früher war alles besser und es soll wieder so werden wie es einmal war? Dann würde ich den Machern der Erfolgszeitschrift Landlust, die auf dem Zeitgeist der Rückkehr des Biedermeiertums reiten, folgendes raten: Steigt in den Tageszeitungsmarkt ein.
Ich musste bei dem Video die ganze Zeit denken: „Die meinen ein Handy! Geh mal zu O2 und guck Dir eins an!“
Es gibt in dem Video nichts, was mein Telefon nicht kann – nur eben nicht in einer großen „Der Abend“-App, sondern in vielen kleinen Apps (Twitter, Flipboard, Circa, Facebook, Apps von Zitty und Tip, …). Das ist ein Feature, kein Bug. Ich glaube, niemand erwartet von Springer, Funke oder Wemauchimmer jetzt ein neues Handybetriebssystem zu entwickeln.
Dass sie dann dennoch diesen Totalabdeckungsfimmel haben, ist wenig hilfreich.