In Sachen Datenjournalismus versuchen sich in Deutschland mehr und mehr Medien zu profilieren. Bei der taz kommen weiterhin unregelmäßig Datengeschichten daher. Etwa die Übergriffe auf Parteibüros durch Neonazis oder die Hochschulwatch.
Zeit Online meldet sich ab und zu mit einem datenjournalistischen Werk; der relativ geringe Output verwundert allerdings angesichts einer vergangenen Jahres ausgebauten Entwicklungsredaktion. Zudem ist nunmehr im zweiten Jahr ein Knight Mozilla OpenNews Fellow im Hause. Jüngst ging es bei ZoN um Katholiken weltweit.
Im Springeruniversium hat sich bislang nur die Berliner Morgenpost explizit mit interaktiven Datengeschichten profiliert. Auf lokaler Ebene ist derzeit bei den Ruhrnachrichten ein konstante Reihe von Datenbeiträgen um lokale Themen zu sehen. Auch bleibt abzuwarten, was die investigativen Teams der WAZ und vom Stern dieses Jahr noch liefern werden.
Richtig in den Ring steigen will dieses Jahr wohl Spiegel Online. So hat die Spiegel-Gruppe seit Anfang des Jahres ebenfalls einen Knight-Mozilla Fellow im Haus. Zusätzlich hat SpOn offenbar auch explizit eine Datenjournalistin angeworben. Das deutet jedenfalls Matthias Streitz, Chef vom Dienst, in einem kurzem Interview an. Vor allem im Gesundsheitsressort wird etwas in Sachen #ddj zu erwarten sein, so Streitz.
Im Radio und TV, respektive den Websites der Sender, ist bislang in dem Bereich kaum etwas geschehen. Schade, weil dort wirklich „crossmediale“ Formate ausprobiert und – nicht zuletzt bei den öffentlich-rechtlichen – aus vergleichsweise enormen personellen Ressourcen geschöpft werden könnte.
Richtig am Aufdrehen dagegen ist süddeutsche.de: Neulich wurde ein ansehnliches Verzeichnis aller Datengeschichten und interaktiven Grafiken herausgeben: DataGraph. Chefredakteur Stefan Plöchiner veröffentlichte gerade einen Buchbeitrag mit dem Titel „Wie innovativ Journalismus sein muss“. Er schreibt dort:
„Datenjournalistische Projekte mögen teuer sein, interaktive Features und Videos aufwändig, Social-Media-Aktivitäten sich nicht sofort refinanzieren — nötig sind all diese Innovationen trotzdem. Aus journalistischen Gründen ohnehin, aber eben auch aus wirtschaftlichen. In einem sehr dichten Wettbewerb der Internetangebote hilft nur publizistische Differenzierung, um herauszustechen und das Publikum zu überzeugen.“
Insofern muss man wohl der kürzlich erschienene Europaatlas (Bildausschnitt oben) als Teil einer Strategie verstehen. Mehr zum Projekt erfährt man von dem verantwortlichen Redakteur Wolfgang Jaschenksky, Homepagechef bei süddeutsche.de, in einem Videointerview. Programmiert wurde die Anwendung im Rahmen einer Bachelorarbeit von einem Studenten an der Uni Augsburg.
Der bereits erwähnte Streitz von SpOn sagte dazu in oben genanntem Interview, er sei zwar neidisch und sehr beeindruckt gewesen. Gleichzeitig sei die Onlineanwendung aber „überdimensioniert“ und „schwer im Handling“. Seine Befürchtung: Viele Leute seien damit überfordert. Man müsse so ein Thema noch weiter aus den Rohdaten – in dem Fall der Daten von EuroStat – herausschälen.
Das sehe ich nicht so. Ich denke nicht, dass es bei Datenjournalismus darum geht, die Essenz von Daten herauszukristallisieren. Vielmehr geht es darum, Umgebungen zu schaffen, in denen sich die Betrachter mit den Daten auseinandersetzen können. Ich teile allerdings die Einschätzung, dass das „Handling“ des Europaatlas nicht optimal ist.
Das Interface und die Optik einer Datenanwendung ist das Äquivalent zum Aufbau eines Textes und des Sprachgeschicks seines Autors. Auch bei einer journalistischen App muss das Thema auf den Punkt gebracht werden, Redundanzen vermieden werden etc.. Wie schlüssig eine Anwendung zu bedienen ist, macht nicht zuletzt ihren Erfolg aus. Insofern braucht es nicht nur Programmierer in den Redaktionen, sondern eine andere Art von „Edelfedern“, also Usability- und Interfaceexperten.
Woran in meinen Augen der Europaatlas gewonnen hätte: Wenn er seitens der Redaktion vorkonfigurierbar gewesen wäre, also für bestimmte Themen auf bestimmte Anfangspositionen zu setzen wäre. Er etwa zum Thema Bildungssystem in Italien gleich zu Anfang auch die entsprechende Karte wiedergibt. Und ich mich als User nicht dorthin durchklicken muss. [UPDATE: Der Atlas kann das wohl, wird aber offenbar nur zum Teil so eingesetzt. Z.B. hier – allerdings gibt es auch Probleme mit dem Cache.]
Andererseits lotet sz.de mit dem Atlas Möglichkeiten aus. Beispielsweise die Kooperation mit einer Uni – welche (Lokal-)Zeitung hat keine Hochschule in ihrem Einzugsgebiet? Und anschaulicher als die Zahlenreihen im EuroStat-Portal ist die Kartenanwendung allemal.