Aron Pilhofer: "Medien sind nicht datengetrieben"

Journalisten könnten durch die stärkere Nutzung von Zahlen viel gewinnen – und dennoch tun sie es nicht. Warum? Ein Interview.

Hintergrund: Teresa Bouza ist eine Stipendiatin der „Knight Journalism Fellowships“ an der Stanford University und Journalistin. Sie hat vor seinem Vortrag bei der „Investigative Reporters and Editors Conference“ (IRE) 2012  in St. Louis, ein Interview mit Aron Pilhofer geführt. Pilhofer, der unter anderem Vorstandsmitglied der IRE ist, leitet bei der New York Times ein Team aus Journalisten und Programmierern, die daten-getriebene Applikationen entwickeln. Ziel ist die Verbesserung des Online-Informationsangebots der „New York Times.“. (Originalartikel vom 23.02.2012 – Übersetzung: Mirko Lorenz )

Der Begriff „data-driven journalism“ ist plötzlich sehr populär geworden. Gleichzeitig verfügen viele Journalisten nur über geringe Kenntnisse bei der Auswertung von Daten, so Aron Pilhofer. Doch das Know-how ist keine Raketenwissenschaft, so Pilhofer und betont dass es für Reporter „lebenswichtig“ ist, in diesem Bereich grundlegende Kenntnisse zu erwerben.

Nach seiner Meinung ist es nach wie vor sehr schwierig, Journalisten zu einem Umdenken zu bewegen und Daten als Quelle eines Beitrags zu sehen, ebenso wie die Fähigkeit, verschiedene Formen und Blickwinkel bei der Berichterstattung zu nutzen.
Doch die wirkliche Barriere für daten-basierte Beiträge liegt noch in einem anderen Bereich: Auf den Führungsetagen werde die Bedeutung des Datenjournalismus bisher nur teilweise verstanden, sagt er.

Die Fähigkeit, aus Daten Geschichten zu machen, sei eine „unterbewertete Fähigkeit“. Daher geht es nicht nur darum „wie wichtig dieses Feld für den einzelnen Journalisten ist“, sondern auch „für wie wertvoll der Chef und der Chef des Chefs dieses Know-how halten“, so Pilhofer.

INTERVIEW

Frage: Angesichts der Werkzeuge, die wir heute haben, worin liegt die große Herausforderung für Journalisten beim Umgang mit Daten?

Pilhofer: Für mich ist das keine Frage der Werkzeuge. Wir haben mehr Rechenleistung, mehr Möglichkeiten Dinge zu tun als jemals zuvor. Mit Amazon EC2 (einer Cloud-Computing Plattform), kann man mi Prinzip an einem Nachmittag einen Super-Computer laufen lassen, wenn man das möchte und zahlt dafür 100 Dollar oder einen ähnlichen Betrag, wenn man zum Beispiel sehr große Datenmengen analysieren möchte. Es ist kein Technologie-Problem, es ist ein Menschen-Problem.“

Frage: Woher kommt der Widerstand? Wo liegt das Problem?

Pilhofer: Das bewegt sich von Sünden der Auslassung bis zu Sünden des falschen Handelns. Ich glaube, es gibt recht viele Journalisten, die entweder Angst vor Daten haben oder aus irgendwelchen Gründen glauben, eine Analyse sei nicht nötig. Sie glauben, dass die traditionellen Wege der Berichterstattung immer schon richtig waren und das das auch so bleiben sollte. Das ist für mich eine Sünde des falschen Handelns. Auf der anderen Seite gibt es das Problem, dass in vielen Redaktionen die Existenz bestimmter Werkzeuge, Techniken oder Möglichkeiten einfach nicht bekannt ist. Von den zwei Gründen der Nicht-Nutzung ist das die besonders tragische Auslassung“.

Frage:  Was sollten Medienunternehmen tun?

Pilhofer: Es braucht eine Investition. Und es braucht einen Entscheider, der sagt: „Wisst ihr, dieser Journalist mag ein guter Autor sein, aber ich werde die Person anstellen, die vielleicht nicht ganz so gut als Autor ist, dafür aber der bessere Reporter – jemand, der uns neue Werkzeuge und Techniken ins Haus bringt. Leider ist es so, dass nach meiner Meinung nur wenige Medienunternehmen diese Art von Investition vollzogen haben“.

Frage: Ihrer Meinung nach, wie wichtig ist die Fähigkeit zum Umgang mit Daten für Journalisten, die in die Zukunft blicken?

Pilhofer: Ich habe als Journalist lange über das Thema „Geld und Politik“ berichtet und die meisten Leute, mit denen ich im Wettbewerb stand, waren Daten-Analphabeten und niemand hatte damit ein Problem. Der Chef nicht und die Leute selbst auch nicht. Das hat mir einen Wettbewerbsvorteil verschafft. Sie wussten, dass ich mehr wusste. Und trotzdem hat es niemand gedämmert, das dieses Wissen vielleicht interessant und nützlich sein könnte.

Ich weiß nicht genau wie viele Journalisten ihrem Beruf nachgehen, ohne auch nur grundlegende Kenntnisse im Umgang mit Daten zu haben. Dennoch, viele Journalisten scheinen ihren Job gut zu machen und die Chefs denken auch, das sie das gut machen. Es kann sein, dass ich falsch liege, aber für mich ist es eine notwendige Fähigkeit.

Frage: Wie würden sie einfache, grundlegende Fähigkeiten zur Datenanalyse beschreiben? Was ist das genau für Sie?

Pilhofer: Man sollte wissen, wie man mit einer Tabelle umgeht und ein grundsätzliches Verständnis für Statistik mitbringen. Man sollte wissen, wie man Daten in eine Tabelle importiert und eine Datenbank bedienen können, wie zum Beispiel Access, mit der man einfache Suchabfragen oder Sortierungen vornimmt.

Ich unterrichte und habe jahrelang „computer-assisted reporting“  gelehrt und ich mache das in einem Kurs, der einen Tag dauert. Niemand glaubt mir, aber es ist wahr: An einem Tag – an einem Tag – kann ich jedem die Fähigkeiten beibringen, die – wenn man sie versteht – jedem erlauben, achtzig Prozent von all den „computer-unterstützten“ Recherchen vorzunehmen, die jemals gemacht wurden. Das wäre der Import einer Tabelle, einige grundlegende mathematische Berechnungen, das Wissen, was eine Summe ist, ein Modus, ein Median und ein Durchschnitt. Ich meine: Fähig sein, einen Datensatz zu betrachten und einfache Zählmethoden anzuwenden. Das ist keine Raketenwissenschaft, jedenfalls der Großteil. Aber selbst das, was ich hier gerade beschreibe, liegt weit fern dessen, was Journalisten in den meisten Redaktionen können.

Frage: Woher kam das Interesse bei Ihnen?

Pilhofer: Das ist etwas, das ich immer gemacht habe. Wenn man über eine kleine Schule berichtet oder Aktivitäten der Stadtverwaltung oder was auch immer – es ist doch selbstverständlich, das jeweilige Jahresbudget kurz in einer Tabelle anzusehen und schlicht sicher zu stellen, dass die Zahlen stimmen. Wenn man über städtische Ausschreibungen berichtet, schreibt man über einen Bereich in dem häufig inoffizielle Absprachen statt finden.  Für den Journalisten ist es eine Verpflichtung hier als Anwalt der Öffentlichkeit zu fungieren. Offen gestanden weiß ich nicht, wie andere diesen Job machen, ohne diese Art von Wissen anzuwenden. Eine bessere Frage wäre: ‚Wie schaffen es Journalisten ihre Aufgabe zu erfüllen, ohne das zu tun?‘

Übersetzung: Mirko Lorenz , mit freundlicher Genehmigung durch Teresa Bouza und Aron Pilhofer.

Der Artikel erschien 23. Februar 2012 auf der Webseite „Knight Garage – re-engineering journalism“. Die Knight News Foundation gehört in den USA zu den wichtigen Förderinstitutionen für Journalismus. Im Rahmen der „Knight Fellowships“ finanziert die Organisation regelmäßig den Aufenthalt von 20 herausragenden Journalisten an der Stanford Universität in Kalifornien.

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